Suchtprävention Seite drucken

Suchtprävention in Schulen

RdErl. vom 11. September 1992 (NBl. MBWKS Schl.-H. S. 303)

Niemals zuvor war der Suchtmittelmißbrauch bei Jugendlichen so groß.
Nach der neuesten Untersuchung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, Jugend, Gesundheit und Energie des Landes Schleswig-Holstein ergibt sich,
bezogen auf den aktuellen Konsum von 12- bis 24-jährigen Jugendlichen in Schleswig-Holstein, folgendes Bild (% -Zahl = Prozentangaben im Vergleich
zur Gesamtzahl der 12- bis 24-jährigen Jugendlichen)

94200 (19,5%) Personen trinken regelmäßig Alkohol
(täglich mehrmals in der Woche)
50000 (10,5%) Personen sind Raucher mit Suchtproblemen
(mehr als 20Zigaretten pro Tag)
19200 (4%) Personen sind akut alkoholgefährdet)
(d.h. behandlungsbedürftig)
14900 (3%) Personen nehmen regelmäßig
Medikamente mit Suchtpotential
(täglich oder ein- bis zweimal in der Woche)
5300 (1,0%) Personen sind starke Haschisch-Konsumenten
(innerhalb der letzten 12 Monate mehr als 20mal konsumiert)
4320 (0,9%) Personen spielen häufig am Geldspielautomaten
(täglich oder mehrmals in der Woche)
3:300 (0,7%) Personen haben harte illegale Drogen (Opiate, Heroin, Kokain) konsumiert.

Aus dieser Situation heraus läßt sich unmittelbarer Handlungsbedarf zur Suchtprävention ableiten - insbesondere für Schulen.

Die Landesregierung hat 1991 für Schleswig-Holstein einen "Drogenhilfeplan - Suchthilfe in Schleswig-Holstein" vorgelegt, der die Prävention als zentrale Aufgabe unterstreicht.

Auf der Grundlage der Leitlinien dieses Drogenhilfeplanes und unter Berücksichtigung des Beschlusses der Kultusministerkonferenz (KMK-Beschluß "Sucht- und Drogenprävention in der Schule" vom 03. 07. 1990), der Suchtprävention als Aufgabe der Schule versteht, gebe ich folgende Hinweise:

1. Suchtprävention als Aufgabe der Schule

Wissenschaftliche Untersuchungen haben verdeutlicht, daß sich die Arbeit ändern muß. Bisher auch in Schulen bevorzugte Methoden der Aufklärung und Abschreckung haben sich als nicht wirksam genug erwiesen. Bloße Sachinformationen über Suchtstoffe und ihre Wirkungen haben vor allem bei Jugendlichen die Bereitschaft zum Konsum eher vergrößert als verringert.

Neuere Präventionsansätze, wie sie auch der Drogenhilfeplan der Landesregierung und die KMK-Empfehlung vorsehen, diskutieren - neben geschlechtsspezifischen Unterschieden - besonders die psychosozialen Ursachen von Suchtentwicklungen.
Hierbei werden u. a. die psychologischen Bedingungen für die Entstehung einer Suchthandlung, die Suchtstruktur und die Abhängigkeit zueinander in Beziehung gesetzt.

Zunehmend mehr jungen Menschen gelingt es nicht, diejenigen Eigenschaften und Fähigkeiten auszubilden, die zu einer selbständigen und verantwortungsbewußten Gestaltung des Lebens notwendig sind.
Schwierigkeiten, unterschiedliche Situationen zu bewältigen oder aushalten zu können, gehören mit zu den Ursachen für die Entstehung von Suchtverhalten; dies gilt auch für die Bewältigung schulischer Problemsituationen. Suchtprävention in der Schule ist Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrages, wie ihn das Schulgesetz in § 4 beschreibt.

Suchtvorbeugung wird hier nicht als zusätzliche Aufgabe einzelner Fachlehrer, sondern als ein Erziehungsprinzip verstanden, das die pädagogische Arbeit erleichtern soll. Sucht - sie gilt heute allgemein - beginnt mit ausweichenden Verhaltensweisen, die dazu dienen, Konflikt- und Entscheidungssituationen aus dem Weg zu gehen. Ein solches Ausweichen stört nicht nur das Lernen der betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie die Arbeit der Lehrkräfte, sondern fördert auch ein negatives Klassenklima. Ziel einer modernen Suchtvorbeugung ist es daher, durch bewußten Umgang mit ausweichendem Verhalten sowohl eine sich anbahnende Sgxcht zu unterbinden als auch die pädagogischen Alltagssituationen zu verbessern.
Dies ist Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer.

2. Ziele schulischer Suchtprävention

Schulische Suchtprävention hat folgende Ziele : Aufbau eines Gesundheitsverhaltens, bei dem die einzelnen Schülerinnen und Schüler gegenüber dem eigenen Körper, der eigenen geistig-seelischen Entwicklung und dem sozialen Umfeld sowie der Gesellschaft verantwortungsbewußt handeln. Das heißt vor allem :

- Abstinenz im Hinblick auf alle Suchtmittel zum Schutz der Gesundheit,

- verantwortungsbewußter und selbstkontrollierter Umgang mit Genußmitteln jeder Art.

3. Suchtprävention in den Schulen

3.1 Suchtprävention kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie als
Unterrichtsund Erziehungsprinzip verstanden wird. Sie muß schon in der Grundschule beginnen und intensiv und fächerübergreifend in den weiterführenden Schulen fortgesetzt sowie ständig wiederholt und aktualisiert werden.

Eine Grundlage der Suchtprävention im schulischen Bereich ist die dialogische Struktur aller Beziehungen in der Schule, besonders im Unterricht. Erfolge auf kommunikativer und sachlicher Ebene für Schülerinnen und Schüler sind unabdingbares Ziel.

Zur Suchtvorbeugung gehört auch die Auseinandersetzung mit der schulischen Umwelt. Sie lebenswert und wohnlich zu gestalten, trägt ebenso zur Suchtvorbeugung bei, wie die Befreiung des Schulalltages von konkreten Suchtaspekten (z. B. Verkauf von Zuckerprodukten während der Pausen. . .)

3.2 Anknüpfungspunkte für einen fächerübergreifenden Unterricht über Suchtprävention bieten die Lehrpläne, insbesondere solche Fächer, die an alltäglichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen und ihr Erleben und Handeln berücksichtigen.

3.3 Im Rahmen von Fachkonferenzen sollen Präventionsmaßnahmen erörtert und deren Durchführung langfristig fächerübergreifend festgelegt werden. Schülervertretungen und Verbindungslehrerinnen sowie Verbindungslehrer aber auch Stufenleiterinnen und Stufenleiter sollen verstärkt an der Mitarbeit bei der Suchtprävention beteiligt werden.

3.4 Suchtpräventive Arbeit muß Eltern einbeziehen. Auf Schulkonferenzen, Schulelternbeiratssitzungen, Elternabenden und anderen Veranstaltungen mit Eltern soll über Art und Umfang der Suchtprävention in der Schule und im Unterricht berichtet werden. Gemeinsame Aktivitäten sollten verabredet werden.

Für die weiterführende Elternarbeit eignen sich Elternseminare und Einzelgespräche; so können z. B. Auswirkungen

- alltäglicher Verhaltensweisen in der Familie,

- der Auflösung von Familienstrukturen und

- der Vereinsamung von Schülerinnen und Schülern

auf die Entstehung einer Sucht oder suchtähnlichen Fehlentwicklung gründlich überdacht werden.

4. Koordinationsstelle schulische Suchtvorbeugung

Um die schulische Suchtprävention neu und wirkungsvoll aufzubauen, wird eine landesweit zuständige "Koordinationsstelle schulische Suchtvorbeugung" aufgebaut. Sie wird bei der "Zentralstelle für Suchtvorbeugung" eingerichtet und führt in enger Kooperation und Abstimmung mit dem IPTS folgende Aufgaben durch:

-Versorgung interessierter Lehrerinnen und Lehrer mit einschlägigen Unterrichtsmaterialien (Materialdienst).
Ständige Information über Neuerscheinungen.

- Fachliche Beratung der Schulen und Lehrkräfte bei allgemeinen und speziellen Fragen zur Suchtvorbeugung in Schulen.

- Schulinterne Lehrerfortbildung: Planung, Organisation und Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen zum Thema "Sucht" für gesamte oder Teil-Kollegien einzelner Schulen.

- Durchführung von überregionalen und regionalen Lehrerfortbildungsveranstaltungen zu allen Themenbereichen des Problemfeldes "Sucht".

- Fachliche Beratung bei der Durchführung von Elternabenden in Schulen und Elternversammlungen, insbesondere Referentenvermittlung.

- Versorgung des Schulelternbeirates und der Schülervertretung mit Informationsmaterial zum Thema "Sucht".

- Initiierung von Kontakten zwischen Schulen und außerschulischen Institutionen (z.B. Beratungsstellen, Jugendbildungseinrichtungen, Polizeidienststellen).

- Anregung von besonderen Angeboten zum Thema "Sucht" z. B.: Projekttage, Projektwochen, kulturelle Veranstaltungen, Klassenfahrten mit spezifischer Thematik.

Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport wird darüber hinaus - zeitgleich erstmals jetzt mit Bekanntgabe dieses Erlasses - gemeinsam mit der "Zentralstelle für Suchtvorbeugung" jährlich laufend ein aktuelles Bildungsberatungsblatt "Suchtvorbeugung in Schulen" herausgeben, in dem über Angebote zur Suchtvorbeugung für Schulen in Schleswig-Holstein informiert wird.

5. Kommunale Dimensionen der Suchtprävention

Suchtprävention erfolgt oft noch sehr isoliert. Sie findet einerseits in der Schule, andererseits in nichtschulischen Einrichtungen statt. Beide Seiten haben selten intensiven Kontakt zueinander. Für eine gezielte Prävention ist aber Kooperation erforderlich.

Deshalb muß Suchtprävention in und mit der umgebenden Gemeinde bzw. dem umgebenden Stadtteil erfolgen. Die Kooperation von Schule und außerschulischen Einrichtungen sowie Lebensbereichen im Gemeinwesen ermöglicht konzertierte Aktionen. Daran sollten verschiedene Ämter und Dienststellen (z. B. Gesundheitsämter, Jugendämter, Kriminalpolizei) beteiligt sein oder Vereine, Verbände und Selbsthilfegruppen - aber auch einzelne Personen aus der Nachbarschaft; denn gute inner- und außerschulische Sozialkontakte können ausweichende und süchtige Verhaltensweisen überflüssig machen.

Suchtprävention im Gemeinwesen besteht aus zahlreichen einzelnen Elementen, notwendig ist ihre Vernetzung. Zu ihnen gehören sowohl suchtspezifische Aktivitäten als auch suchtunspezifische, wie z. B. die Förderung von Selbständigkeit, die Auseinandersetzung mit der Wohnumwelt oder mit Freizeitmöglichkeiten.
Folgende Projekte und Ansätze sollten z. B. an einzelnen Schulen erprobt werden

- Einrichtung einer Beratungsstelle in der Schule.

Der Besuch von medizinischen und psychosozialen Beratungsstellen des Gesundheitsamtes und freier Träger fällt Jugendlichen wie Erwachsenen oft schwer. Zur Verringerung der Schwellenangst werden in Schulen Außenstellen (Sprechtage) von kommunalen Beratungsstellen eingerichtet. Sie sind für die Schülerinnen und Schüler der Schule zuständig. Die Beratungsstelle kooperiert mit den Lehrkräften der Schule, sie macht auch Veranstaltungsangebote für die Primärprävention.

- Entwicklung integrierter Programme durch die Volkshochschule.

Zahlreiche Volkshochschulen nutzen bereits Räume in Schulen. Ein auf die Schülerinnen und Schüler zugeschnittenes Angebot kann die unterrichtliche und erzieherische Arbeit von Lehrkräften unterstützen.

6. Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen

Umfassende suchtpräventive Erziehungsarbeit ist nur in Kooperation der Schulen mit den dafür auf Bundes- und Landesebene zuständigen außerschulischen Einrichtungen möglich.

Dazu zählen:

- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Köln),

- Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hamm),

- Bundesvereinigung für Gesundheit (Bonn).

Die "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung" stellt neben allgemeinem Informationsmaterial in Absprache mit den Kultusverwaltungen aller Länder für alle Schularten und -stufen Unterrichtsmaterialien zur Gesundheitserziehung und zur Suchtproblematik her, die den Schulen regelmäßig zugestellt werden.

Neben der Organisation von nationalen und überregionalen Fachtagungen gibt die "Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren" umfassende Fachpublikationen heraus, z. B. das "Jahrbuch zur Fragen der Suchtgefahren" und die Fachzeitschrift "Sucht".

Auf Landesebene sind zu nennen:

- Landesstelle gegen die Suchtgefahren (Zentralstelle für Suchtvorbeugung),

- Landesvereinigung für Gesundheitsförderung,

- Kriminalpolizeiamt,

- Krankenkassen.

7. Schulaufsichtliche Fragen

Es gab und wird auch immer wieder in Schulen, insbesondere der Sekundarstufen I und II, Hinweise über Suchtmittelmißbrauch und sogar -handel geben, die dann verbreitet werden. Die Schulen sind aufgefordert, in einem angstfreien, konstruktiven Miteinander von Schulaufsicht, Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern die Probleme zu besprechen.

Wird allerdings festgestellt, daß an einer Schule mit "illegalen Drogen" gehandelt wird, muß die Schule dies als Straftatbestand behandeln und entsprechende Maßnahmen einleiten (z. B. Einschaltung der Schulaufsicht und Kriminalpolizei).

8. Adressen

a) Bundesebene

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Ostmeerheimer Str. 200
5000 Köln 91

Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren
Westring 2
4700 Hamm 1

Bundesvereinigung für Gesundheit
Viktoriastr. 28
5300 Bonn 2 b) Landesebene

Landesstelle gegen die Suchtgefahren
(Zentralstelle für Suchtvorbeugung)
Schauenburgerstr. 36
2300 Kiel 1

Landesvereinigung für Gesundheitsförderung
Flämische Str. 6-10
2300 Kiel 1

Kriminalpolizeiamt KIEL (Dezernat 200)
Mühlenweg 16 6
2300 Kiel 1

Die Anschriften weiterer Institutionen, die auf Kreis- und örtlicher Ebene im Bereich der Suchthilfe arbeiten (z. B. ambulante Hilfen, stationäre Einrichtungen, Übergangseinrichtungen, Selbsthilfe und
Nachsorgegruppen/Treffpunkte) können dem Bildungsberatungsblatt Nr. 39 "Suchtprävention in Schulen" (Hrsg. : Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Kultur und SporL) oder dem Institutionenführer "Suchtkrankenhilfe in Schleswig-Holstein" entnommen werden (Hrsg: Der Minister für Arbeit und Soziales, Jugend, Gesundheit und Energie.

9. Schlußvorschriften
Dieser Erlaß tritt am Tage nach der Veröffentlichung im Nachrichtenblatt der Ministerien für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport in Kraft.


nach oben


Paragraf – Schulrecht für Schleswig-Holstein