Farbensinnstörungen und die Verwendung von Farbe
im Unterricht
Bek. vom 1. August 1989 (NBl. MBWJK. Schl.-H. S. 209)
Der Fachverband Behindertenpädagogik (VDS) hat sich verstärkt mit der
Verwendung von Farben in Schulbüchern der Grundschule und der Schule für
Lernbehinderte beschäftigt. Die Untersuchungsergebnisse des Verbandes haben
gezeigt, daß bei Aufgaben, deren richtige Lösung allein von der Unterscheidung
von Rot und Grün abhängig ist, einer nennenswerten Anzahl von Schülerinnen
und Schülern Fehler unterlaufen.
Erscheinungsbild
Etwa 8% der männlichen Bevölkerung und 0,4% der weiblichen haben
Farbensinnstörungen. Die totale Farbenblindheit, d. h. die ausschließliche
Wahrnehmung von Schwarz-, Grau- und Weißtönen ist äußerst selten. Häufiger
hingegen sind Störungen, bei denen insbesondere ungesättigte Farben
verwechselt werden. Der Prozentsatz der Rot-Grün-Blinden beträgt z. B. 1,1%.
Ob ein Mensch mit einer Farbensinnstörung bei der Unterscheidung von Farben
größere oder geringere Schwierigkeiten hat, hängt von den verschiedenen
Variablen ab:
1. der Art und dem Grad der Farbenblindheit (Farb-Anopie) bzw.
Farbensinnschwäche (Farb-Anomalie)
2. dem Buntton (Farbton) und der Sättigung der Farbe
3. den Beleuchtungsverhältnissen.
Zu 1.
Wenn jemand eine vollständige Farbenblindheit in einem Bereich hat, ist die
Wahrscheinlichkeit, daß er Farben verwechselt, groß (z. B. bei Rotblindheit:
Rot mit Gelb, Rot mit Grün, Rot mit Braun, Grün mit Braun, Violett mit
Dunkelrot, Violett mit Braun, Violett nnit Schwarz, Gelb mit Grün, Violett mit
Blau, Dunkelrot mit Schwarz). Hat er nur eine Farbensinnschwäche, gelingt ihm
die richtige Benennung der Farbe zumindest einigermaßen genau, wenn die
Beleuchtungsverhältnisse gut sind.
Zu 2.
Ungesättigte Farben werden leichter verwechselt als gesättigte. Wenn beim
Druck Kennfarben nach DIN 5381 verwendet werden, können auch die meisten
Menschen mit Farbensinnstörungen erkennen, welche Farbe es ist.
Bei Verkehrsampeln werden Rot-, Grün- und Orangetöne verschiedener Helligkeit
und Tönung verwendet, so daß auch Farbenblinde die Phasen sicher unterscheiden
können.
Zu 3.
Ausreichend helles, jedoch nicht blendendes Tageslicht oder tageslichtähnliches
Licht erleichtert das richtige Erkennen
und Benennen von Farben.
Probleme im Unterricht
Unsicherheiten beim Erkennen der Farben ergeben sich bei farbensinngestörten
Schülern vornehmlich in folgenden Bereichen:
-Bei der Auswahl von Aquarellfarben, Buntstiften u. ä. und ihrer Verwendung im
Kunstunterricht, im Heimat- und Sachkundeunterricht usw. Aber auch bei anderen
Materialien (wie Wolle, Stoffen, Bausteinen) kann ein Farbensinngestörter eine
Wahl treffen, die voll farbtüchtige Personen überrascht.
-In Mathematikbüchern, insbesondere der Grundschule, bei denen Farbe das
einzige Kriterium für die Richtigkeit der Lösung einer Aufgabe ist, lassen
sich vermehrt falsche Ergebnisse feststellen.
-Soweit auf topographischen, politischen und historischen Karten Farben
Symbolcharakter haben oder zur Unterscheidung verwendet werden, sind falsche
Deutungen aufgrund von Farbenverwechslung nicht auszuschließen. Allerdings
hängt die Verwechslungsmöglichkeit davon ab, wie weit bei dem Druck die Farben
nach DIN 538I verwendet werden.
Folgerungen für die Lehrkräfte
Wenn die Lehrerin oder der Lehrer beobachtet, daß eine Schülerin oder ein
Schüler vermehrt Fehler bei Aufgaben macht, bei denen Farbe das einzige
Kriterium für die Richtigkeit der Lösung ist, oder bei der Benennung und der
Auswahl von Farben unsicher oder falsch reagiert, sollten die
Erziehungsberechtigten des Kindes oder Jugendlichen davon in Kenntnis gesetzt
werden. Sie sollten gebeten werden, mit ihrem Kind einen Augenarzt aufzusuchen
und eine Farbensinnprüfung vornehmen zu lassen. Wenn sich bei dieser
Überprüfung herausstellt, daß der Schüler eine Form der Farbenblindheit oder
Farbensinnschwäche hat, sollten ihm zusätzliche Hilfen gegeben werden. Diese
könnten z. B. darin bestehen, daß die Farben mit dem Farbennamen
gekennzeichnet werden (etwa hellbraun, dunkelrot) oder daß bei
Mathematikaufgaben oben beschriebener Art oder geographischen und historischen
Landkarten ein weiteres Kriterium eingeführt wird, wie Schraffierung oder
Aufzeichnen eines Punktmusters. Auf jeden Fall sollten Fehlleistungen, die auf
mangelnde Sicherheit beim Erkennen von Farben zurückzuführen sind, die
Bewertung der Leistung des Kindes oder Jugendlichen nicht negativ beeinflussen.