Empfehlungen
zur Arbeit in der Grundschule
Beschluß der Kultusministerkonferenz Vom 2. Juli 1970 i.d.F. vom 6. Mai 1994
(NBl. MFBWS Schl.-H. S. 318)
Gliederung
Vorwort
1. Grundlegende Bildung in der Grundschule
1.1 Gegenwartsbewältigung und Zukunftsorientierung -
zwei Aspekte didaktischer Neubesinnung
1.2 Inhalte grundlegender Bildung
1.3 Lernen in der Grundschule
1.3.1 Grundschulgemäßes Lernen
1.3.2 Gestaltung schulischen Lebens und Lernens
1.3.3 Lernentwicklung und Leistungsbeurteilung
2. Eintritt in die Grundschule und
Anfangsunterricht
2.1 Pädagogischer Stellenwert des Schulbeginns
2.2 Schulanfang
2.3 Anfangsunterricht
2.4 Sonderpädagogische Förderung
3. Übergang in die weiterführenden Schulen
3.1 Regelungen des Übergangs und ihre Problematik
3.2 Kontinuität und Wandel beim Übergang
4. Unterrichtsergänzende und -erweiternde
Maßnahmen
4.1 Veränderte Bedingungen und Sichtweisen
4.2 Lösungsansätze und Entwicklungstendenzen Anhang
Vorwort
In ihrem Beschluß vom 2. Juli 1970 hat die Kultusministerkonferenz erstmals
"Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule" mit dem Ziel gegeben,
"die pädagogische Arbeit auf der grundlegenden Stufe des Bildungswesens zu
verbessern". Die Empfehlungen gingen von den damals aktuellen
Verhältnissen der Grundschule aus und zeigten Art und Richtung notwendiger
Veränderungen auf. Sie bezogen sich dabei auf Problemstellungen wie die
Verbesserung der Chancengleichheit, kompensatorische Erziehung und verstärkte
Differenzierung bei der Unterrichtsarbeit, eine frühe kognitive Förderung in
Verbindung mit Überlegungen zur Neuordnung des Schulanfangs, eine stärkere
Betonung der Eigengesetzlichkeit einzelner Unterrichtsgebiete und die
Entwicklung lernzielorientierter Curricula sowie Bemühungen um eine stärkere
sachliche Orientierung des Unterrichts.
Diese Empfehlungen sind in den zurückliegenden Jahren in die Richtlinien und
Lehrpläne der Länder eingeflossen und haben zu grundlegenden Verbesserungen
der Unterrichtsarbeit in den Grundschulen geführt. Mit der vorliegenden
Fortschreibung und Neufassung der Empfehlungen wird grundsätzlich an den
Beschluß vom 2. Juli 1970 angeknüpft. In der Zwischenzeit haben sich aber die
gesellschaftlichen und pädagogischen Rahmenbedingungen von Schule und
Unterricht geändert. Zu bedenken ist auch die Situation in den neuen Ländern,
deren Schulen bis 1989 eine ganz andere Entwicklung als in den alten Ländern
der Bundesrepublik genommen hatten.
Die Kinder von heute kommen mit gewandelten und sehr unterschiedlichen
Erfahrungen zur Schule. Zugleich ist im Bewußtsein der Eltern die Bedeutung der
Schule als Vermittlerin vom Lebenschancen gestiegen. Die Veränderung der
Familienstrukturen, ein vielfältiges Spektrum von Lebensformen und
Erziehungsvorstellungen, verbunden mit einer erweiterten Mitwirkung der Eltern,
das Zusammenleben mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, ein
wachsendes Bewußtsein für ökologische Fragen, der Einfluß der Medien. All
dies stellt die Grundschule ebenso vor neue Aufgaben wie die wachsende
Bereitschaft, im Rahmen des Möglichen auch Schülerinnen und Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf in der Grundschule zu unterrichten.
Seit jeher gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Grundschule, die
Persönlichkeitsbildung des Kindes zu fördern und die entscheidenden Grundlagen
für weiterführendes Lernen zu legen. Bei der Gestaltung eines sowohl
differenzierenden als auch integrierenden Unterrichts geht es einerseits darum,
sehr unterschiedliche Lernmöglichkeiten angemessen zu berücksichtigen,
andererseits aber auch zusammen mit Schülerinnen und Schülern
gemeinschaftsbildende Lernaktivitäten zu entwickeln. Die Grundschule muß sich
noch stärker als bisher als Ort gemeinsamer Grunderfahrungen verstehen und die
Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.
Sie muß die Fähigkeit zur Kulturaneignung ausbilden und im Zusammenhang damit
auch Konzepte zur Öffnung auf ihr Umfeld hin entwickeln. Es kann kein Zweifel
daran bestehen, daß durch diese Aufgaben und durch die größere Heterogenität
der Schülerschaft die pädagogische Arbeit der Grundschule vielfältiger und
anspruchsvoller geworden ist.
Die Empfehlungen verzichten darauf, lehrgangsbezogene Bereiche des Unterrichts,
denen eine spezifische Systematik zugrunde liegt und die übereinstimmend zum
festen Bestand der Lehrpläne gehören, detailliert darzustellen. Auch werden
Unterrichtsbereiche, für die bereits Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz
bestehen, nicht im einzelnen erläutert; auf sie wird im Anhang verwiesen.
Aufgabe der vorliegenden Empfehlungen ist es, den Prozeß der kontinuierlichen
Weiterentwicklung der Grundschule zu fördern, indem sie ihn kritisch
reflektieren und ihm eine in die Zukunft weisende Perspektive geben.
1.
Grundlegende Bildung In der Grundschule
1.1 Gegenwartsbewältigung und Zukunftsorientierung
- zwei Aspekte didaktischer Neubesinnung
Grundlegende Bildung ist ebenso gegenwartsbezogen wie zukunftsorientiert. Sowohl
die sich wandelnde Gesellschaft als auch eine veränderte Kindheit verlangen die
Weiterentwicklung von Lerninhalten und Arbeitsformen.
Aufgaben der Grundschule ist es, Kinder mit unterschiedlichen individuellen
Lernvoraussetzungen und Lernfähigkeiten so zu fördern, daß sich Grundlagen
für selbständiges Denken, Lernen und Arbeiten entwickeln sowie Erfahrungen im
gestaltenden menschlichen Miteinander vermittelt werden.
Sie erwerben so eine Basis zur Orientierung und zum Handeln in ihrer Lebenswelt
sowie für das Lernen auf weiterführenden Schulen.
1.2 Inhalte grundlegender Bildung
Bildung ist ein offener, handlungsorientierter, lebenslanger Prozeß. Danach
sollen die Menschen befähigt werden, am gesellschaftlichen und kulturellen
Leben teilzuhaben und Probleme sachlich angemessen nach demokratischen
Grundsätzen zu lösen, Verantwortung zu übernehmen und die Folgen eigenen
Handelns zu bedenken. Dieser Prozeß beginnt im Vorschulalter und wird in der
Grundschule zielgerichtet fortgesetzt.
Die Grundschule leistet im Rahmen ihres Erziehungsauftrages auch einen Beitrag
zu einer grundlegenden Wertorientierung, in dem sie bei den Kindern Selbst- und
Welterkenntnis anbahnt, sie schrittweise zu Urteilsfähigkeit und zu
selbständigem und verantwortungsbewußtem Handeln hinführt. Sie soll den
Schülerinnen und Schülern helfen, eigene Standpunkte und Werthaltungen zu
gewinnen, die für die Persönlichkeitsentwicklung und für eine verantwortliche
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind.
Das Hauptaugenmerk in der Grundschule liegt auf einer Förderung aller
Schülerinnen und Schüler, die ganzheitlich alle Sinne erfassen soll. Die
Grundlegung der Bildung erfordert ebenso die fachbezogene Aneignung von
grundlegendem Wissen.
Grundlegende Inhalte, Zielstellungen und Anforderungen, die zur Bewältigung von
Lebenssituationen didaktisch und pädagogisch geeignet sind, müssen sich
kontinuierlich in den Fächern und Lernbereichen der
Grundschule wiederfinden. Die für den Bildungsprozeß der Grundschule wichtigen
Lerninhalte werden sowohl in fach- und lernbereichsbezogenen als auch in
fächerübergreifenden Lehr- oder Rahmenplänen dargestellt.
Dabei behalten insbesondere die Fächer
- Deutsch,
- Mathematik,
- Sachunterricht,
- Kunst,
- Musik,
- Sport und - in den meisten Ländern- Religion
sowie die jeweils spezifischen Denk- und Arbeitsweisen ihre Bedeutung. Ihre
Inhalte werden durch die Behandlung zentraler Gegenwartsfragen und
Zukunftsperspektiven vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Schülerinnen und
Schüler ergänzt. Diese Akzentuierung kann in einzelnen Bereichen zu einer
neuen Gewichtung führen.
Faktenwissen dient der Orientierung im Alltag und erleichtert routiniertes
Handeln. Die Schülerinnen und Schüler sollen aber auch Lernen, wie Wissen
erworben, gespeichert und verfügbar gemacht werden kann.
In allen Fächern und Lernbereichen müssen die Schülerinnen und Schüler die
für das weitere Lernen grundlegenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten
erwerben. Das gilt insbesondere auch für das Lesen, Schreiben und Rechnen.
Des weiteren sollen folgende Lernbereiche Eingang in die Lehrpläne finden und
im Unterricht strukturierend wirken:
- Spracherziehung
Der Sprache kommt als Schlüssel zum Selbst- und Weltverständnis eine wichtige
Bedeutung zu.
Kontinuierliche Sprachpflege fördert die geistige Entwicklung und leistet einen
wesentlichen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung und für den späteren
Schulerfolg. Spracherziehung ist deshalb nicht nur Aufgabe eines Faches, sondern
leitendes Prinzip des gesamten Unterrichts. Dies gilt um so mehr bei einem
erheblichen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einer anderen
Muttersprache als Deutsch.
Die geistige Entwicklung ist eng mit einer sprachlichen Differenzierung
verbunden.
Planmäßige Sprachpflege ist daher eine wichtige Voraussetzung für den
späteren Schulerfolg. Insbesondere zum Beginn der Grundschulzeit kommt es
darauf an, Schülerinnen und Schülern Anregungen und Hilfen für ihre
sprachliche Entwicklung zu geben.
- Mathematische Erziehung
Der Mathematik-Unterricht in der Grundschule leistet neben der Vermittlung
grundlegender Fertigkeiten im Umgang mit Zahlen und Größen, mathematischen
Verfahren und technischen Hilfsmitteln einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen
Denkerziehung und zur Entwicklung vielseitiger Fähigkeiten.
Der für die Mathematik typische Wechsel von Problemstellungen, die Suche nach
Lösungswegen, das Aufstellen von Vermutungen, das Verallgemeinern und
Überprüfen von Lösungen anhand der Problemstellung unterstützen wesentlich
die Entwicklung des Denkens, des Argumentierens und der Kreativität.
Er schafft Lernsituationen, die die Zusammenarbeit der Schülerinnen und
Schüler bei der Problemlösung unterstützen.
- Medienerziehung
Sprache, Vorstellungswelt, Wertvorstellungen und
Freizeitgewohnheiten der Kinder werden maßgeblich von den Medien beeinflußt.
Deshalb müssen die Schülerinnen und Schüler auf einen kritischen und
besonnenen Umgang mit Medien vorbereitet werden. Sie sollen Erfahrungen
gewinnen, die die scheinbare Objektivität der Medien in Frage stellen und ihre
Aspekthaftigkeit begreifbar machen. Auch die gestalterischen Möglichkeiten der
Medien sollten bewußt im Unterricht genutzt werden.
- Ästhetische Erziehung
Im Interesse einer ganzheitlichen Erziehung muß die Schule Angebote machen, die
alle Sinne einbeziehen und unmittelbare Erfahrungen ermöglichen. Schülerinnen
und Schüler müssen immer wieder Gelegenheit erhalten, sinnliche Erfahrungen zu
machen und kreative Fähigkeiten zu entwickeln, z.B. im Rahmen von Projekten und
im selbständigen Herstellen von Objekten.
- Umgang mit Technik
Angesichts einer hochtechnisierten Umwelt haben Kinder einen großen
Klärungsbedarf hinsichtlich technischer Phänomene in ihrer Umgebung. Deshalb
sollten in Projekten des Sach- und Werkunterrichts eigene Erfahrungen
ermöglicht werden, die durch den konkreten Umgang mit Technik ein grundlegendes
Verständnis für Technik und wirtschaftliche Zusammenhänge anbahnen.
- Bewegungserziehung
Spiel und Bewegung sind kindliche Grundbedürfnisse. Sie tragen nicht nur zu
Gesundheit und Wohlbefinden bei, sondern ermöglichen dem Kind wichtige
ganzheitliche Erfahrungen. Das Ausschöpfen und Entfalten aller
Bewegungsmöglichkeiten ist deshalb besonders wichtig. In allen Lernbereichen
sind vielfältige Bewegungsaktivitäten, insbesondere rhythmische
Bewegungselemente, in den Unterrichtsalltag einzuplanen.
Für eine so angelegte Bewegungserziehung leistet
der Sportunterricht einen wichtigen Beitrag. Durch gemeinsames Sporttreiben,
Spielen und Bewegen werden grundlegende soziale Erfahrungen möglich.
- Fremdsprachenbegegnung
Die Schülerinnen und Schüler erfahren fremde Sprachen durch Medien, Reisen und
den Umgang mit anderssprachigen Mitschülerinnen und Mitschülern. Daher, aber
auch im Hinblick auf die sprachlichen Anforderungen in einem vereinten Europa
sollte Kindern
bereits im Grundschulalter die Möglichkeit zu einer Begegnung mit einer
Fremdsprache angeboten werden. Eine Verstärkung bzw. Ausweitung bestehender
Angebote sollte die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen, Schul- und
Städtepartnerschaften einbeziehen sowie die besonderen Beziehungen zu
Nachbarländern nutzen.
Die Fremdsprachenvermittlung in den Jahrgangsstufen 3 und 4 der Grundschule
versteht sich als ein Angebot eigener Art und mit eigener Didaktik.
Kennzeichnend sind spielerische Lern- und Arbeitsformen, die individuelle
Lernfortschritte ermöglichen. Weitere
Merkmale sind die enge Verzahnung des Fremdsprachenangebotes mit den Inhalten
und Methoden des übrigen Unterrichts, der Vorrang des mündlichen
Sprachgebrauchs, die Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler sowie der
Verzicht auf Leistungsbewertung.
Neben dem begegnungssprachlichen Konzept, bei dem der Umgang mit fremden
Sprachen mehr situativ erfolgt und viele Sprachen betreffen kann, gibt es in
einigen Ländern Projekte, die eine eher systematische Beschäftigung mit einer
Fremdsprache von der 3. Jahrgangsstufe an vorsehen, um erste Schritte zum
Erlernen einer Fremdsprache zu ermöglichen.
- Umwelt und Gesundheit
Im verantwortungsbewußten Umgang mit Natur und Umwelt muß deren Erhaltung als
Grundlage des Lebens bewußt gemacht werden. Verständnis für Natur und Umwelt
entwickelt sich vor allem im direkten Umgang; hinzukommen muß das erforderliche
Wissen über ökologische und ökonomische Zusammenhänge.
Der Mensch ist in die Natur eingebunden. Pfleglicher Umgang mit der Natur
bedeutet deshalb auch den natürlichen und verständnisvollen Umgang mit dem
eigenen Körper und der eigenen Gesundheit.
- Heimatverbundenheit und Weltoffenheit
Die Schülerinnen und Schüler kommen immer stärker mit für sie fremden
Verhaltensweisen, Kulturen und Sprachen in Berührung, Heimatverbundenheit und
die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe prägen einerseits die
Persönlichkeit und verleihen Sicherheit im eigenen Handeln. Durch das
Kennenlernen und Erleben eigener und fremder Lebensgewohnheiten in der Schule
wird andererseits eine Balance zwischen der Sicherheit des Dazugehörens und der
vorurteilsfreien Weltoffenheit angestrebt. In unserer Lebenswelt sind
Verständnis für andere Lebensformen, Toleranz und
Dialogfähigkeit besonders wichtig. In diesem Zusammenhang gewinnt der
Europagedanke auch für die pädagogische Arbeit in der Grundschule eine
besondere Bedeutung.
1.3 Lernen in der Grundschule
1.3.1 Grundschulgemäßes Lernen
Das Lernen in der Grundschule knüpft an die vor- und außerschulischen
Erfahrungen an und schafft die erforderlichen Voraussetzungen für ein
erfolgreiches Arbeiten in weiterführenden Schulen.
Die bei Schulanfängerinnen und Schulanfängern in aller Regel vorhandenen
Lernfreude und Neugier sollen erhalten bzw. weiterentwickelt werden. Es geht
darum, das Kind als Subjekt im Lernprozeß zu sehen, es als aktiv handelndes
Individuum anzuerkennen, die Achtung vor seiner Würde in den Mittelpunkt der
Arbeit zu stellen und den Unterricht entsprechend zu gestalten. Dieser Haltung
liegt die Einsicht zugrunde, daß sich das Lernen als eigengesetzlicher,
selbstgesteuerter Prozeß vollzieht, der bei den Kindern sehr unterschiedlich
verlaufen kann.
Die Lehrerinnen und Lehrer begleiten die komplizierten und zum Teil
widersprüchlichen Lernverläufe als Vermittler kultureller Tradition, als
Ansprechpartner und Berater, die initiieren, gestalten und beobachten,
Anforderungen stellen und individuelle Hilfen geben. Sie werden zu wichtigen
Bezugspersonen für ihre Schülerinnen und Schüler, die von ihnen verläßliche
Zuwendung erwarten. Für die Organisation schulischen Lernens bedeutet dies:
Es sind Arbeitsformen zu entwickeln und zu verwirklichen, die allen
Schülerinnen und Schülern die erforderlichen individuellen
Entwicklungsmöglichkeiten bieten und zugleich Gelegenheiten gemeinsamen Lernens
eröffnen.
In diesem Zusammenhang ist auch der Stellenwert des Computers in der
pädagogischen Arbeit der Grundschule zu bestimmen.
1.3.2 Gestaltung schulischen Lebens und Lernens
Der Unterricht in der Grundschule geht vom Erlebnis- und Erfahrungshorizont
der Schülerinnen und Schüler aus und erweitert ihn. In altersgemäßer Weise
bezieht die Grundschule ihre Schülerinnen und Schüler in die Planung,
Durchführung und Auswertung des Unterrichts ein und macht deren Erfahrungen,
Fragen, Anliegen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Ausgangspunkt
des Unterrichts.
Die Schülerinnen und Schüler sollen das Lernen zunehmend als reizvolle,
häufig nur gemeinsam zu lösende Aufgabe erfahren. Die Grundschule gibt dafür
Strukturen vor und sorgt für Orientierung und Sicherheit, schafft aber auch
freien Raum zur Selbsterprobung und fordert Schülerinnen und Schüler
individuell zu den ihnen möglichen Leistungen heraus. Der Weg des Lernens, die
Genese von Erfahrung und Wissen, bekommen dabei ihren eigenen Stellenwert. Dabei
soll auf das entdeckende Lernen und handelnde Begreifen besonderes Gewicht
gelegt werden, wozu sich sowohl Formen des Projektunterrichts und des
themenzentrierten Lernens als auch des lehrgangsbezogenen Arbeitens eignen.
In unterschiedlichen Unterrichtssituationen sollen die Schülerinnen und
Schüler zunehmend die Fähigkeit entwickeln, sich für Inhalte und Methoden,
für Sozialformen beim Lernen, für den Arbeitsplatz bzw. die Arbeitsmittel zu
entscheiden und ihre Arbeiten selbst zu kontrollieren. Sie können ihren
Ideenreichtum und ihre Selbständigkeit vor allem in der Gestaltung der
selbstbestimmten Arbeitsphasen (Freie Arbeit) und in der Mitgestaltung der
Tages- und Wochenplanarbeit entfalten.
Ein Leben und Lernen in der Schule, das solche Spiel- und Handlungsräume für
Schülerinnen und Schüler eröffnet, wird als "Öffnung von Schule, als
"offener Unterricht" oder als "offenes Lernen" bezeichnet.
Im Vordergrund stehen dabei differenzierte Lernangebote, die den Schülerinnen
und Schülern Raum geben für eigene Entscheidungen und für individuelle und
gruppenbezogene Arbeitsvorhaben. '
Ein solcher Unterricht verlangt eine sorgfältige Strukturierung der
Lernangebote, eine regelmäßige Überprüfung und Dokumentation der
unterschiedlichen Lernfortschritte sowie eine begleitende Beratung der
Schülerinnen und Schüler.
Die Ausstattung mit vielfältigen, frei zugänglichen Arbeitsmaterialien und die
Gliederung des Klassenraumes in verschiedene Arbeitszonen sind charakteristische
Merkmale einer offenen Unterrichtsgestaltung.
Hausaufgaben behalten in diesem Zusammenhang als sinnvolle Ergänzung zu
unterrichtlichen Aktivitäten ihre Berechtigung; sie können die
Selbständigkeit stärken und Raum für eigene Aktivitäten eröffnen. Sie
dienen unter anderen auch dazu, Vorhaben aus dem Unterricht in den
Freizeitbereich hineinzutragen, z. B. individuelle Erkundungen anzuregen,
kulturelle Angebote wahrzunehmen, Leseaktivitäten zu entwickeln, Briefe zu
schreiben, Arbeitsanweisungen auszuprobieren.
Die Förderung von Kindern mit Lernproblemen findet in der Regel im
Klassenverband statt. Zur Unterstützung dieser Schülerinnen und Schüler kann
es sinnvoll sein, zeitlich begrenzt Lerngruppen einzurichten. Derartige
Maßnahmen sollten aber von integrierender Arbeit in der Klasse begleitet sein
und in sie zurückgeführt werden.
Die Grundschule als Lern- und Lebensraum muß Geborgenheit und Sicherheit
vermitteln, Identifikationsmöglichkeiten bieten und so gestaltet werden, daß
sich die Schülerinnen und Schüler in ihr wohlfühlen und ebenso die ihren
Möglichkeiten entsprechenden Lern- und Entwicklungschancen erhalten.
Für das Lernen der Kinder in der Grundschule ist es
wichtig, daß sich Sach- und, Soziallernprozesse wechselseitig bedingen und
stützen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Gestaltung eines reichhaltigen
Schullebens, z. B. Klassenfeiern, Schulfeste, Spiel- und Sportfeste, Wandertage
und Klassenfahrten, besondere Bedeutung.
Um die Rhythmisierung des Schullebens und des Tagesablaufs so gestalten zu
können, daß ein angemessener Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung,
zwischen Aktivität und Erholung möglich ist, sollte bei der Gestaltung der
Gebäude, der Räume und des Schulhofes sowohl den Lernerfordernissen als auch
den Spiel-, Bewegungs- und Ruhebedürfnissen der Schülerinnen und Schüler
Rechnung getragen werden.
Eine enge Kooperation zwischen den Lehrkräften einer Klasse und dem
Lehrerkollegium der Schule sowie die vertrauensvolle und kontinuierliche
Zusammenarbeit mit den Eltern sind wichtige Voraussetzungen für eine
Grundschularbeit im vorstehend beschriebenen Sinn.
1.3.3 Lernentwicklung und Leistungsbeurteilung
Veränderte Lernformen in der Grundschule tragen zu einem neuen Verständnis der
Leistungsförderung und Leistungsbeurteilung bei. Im Vordergrund stehen dabei
die Bemühungen, jede Schülerin und jeden Schüler orientiert an den
Lernanforderungen des jeweiligen Jahrgangs - zu den ihr oder ihm möglichen
Leistungen zu führen.
Mit der Leistungsbeurteilung in Berichtsform können die individuellen
Fortschritte, Stärken und Schwächen in einzelnen Lernbereichen detailliert
beschrieben werden. Damit sind hilfreiche Hinweise zur Verbesserung von
Lernergebnissen möglich.
Notenzeugnisse erfassen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in bezug
auf allgemeine Anforderungen, aber auch in bezug auf das Leistungsniveau der
Lerngruppe.
Grundlage der Leistungsbeurteilung in Berichtsform oder in Ziffernnoten sind
immer die Anforderungen der Lehrpläne und die im Unterricht erworbenen
Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.
In einigen Ländern zeichnet sich eine deutliche Tendenz zur Ausweitung der
Lern- und Leistungsbeurteilung in Berichtsform ab.
Unabhängig von der Beurteilungsform ist es notwendig, die individuelle Lern-
und Leistungsentwicklung sowie das Arbeits- und Sozialverhalten jeder Schülerin
und jedes Schülers kontinuierlich und möglichst differenziert zu beobachten
und umfassend einzuschätzen. Dadurch werden Aussagen über die schulische
Entwicklung des Kindes innerhalb eines bestimmten Beurteilungszeitraums
möglich. Konkrete Hinweise zu einzelnen Lernbereichen und Lernfähigkeiten
sollen so abgefaßt werden, daß sie die Schülerin oder den Schüler in ihrer
bzw. seiner individuellen Lernbereitschaft stärken. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß Kinder zur Verbesserung ihrer Lernleistungen der
Bestätigung, Ermutigung, Lernhilfe und Korrektur bedürfen.
Grundschullehrerinnen und -lehrer sind gefordert, ihre Beobachtungs- und
Beurteilungsfähigkeit zu schulen, um individuelle Beobachtungsergebnisse für
das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten in möglichst vielen Situationen und
unter unterschiedlichen Lernanforderungen festzuhalten. Die genaue Beurteilung
der Lernfortschritte dient auch der selbstkritischen Überprüfung und
Veränderung des Lehrerverhaltens und der Lernangebote.
2.
Eintritt in die Grundschule und Anfangsunterricht
2.1 Pädagogischer Stellenwert des Schulbeginns
Der Eintritt in die Grundschule ist für das Kind der Anfang eines neuen
Lebensabschnittes, mit dem freudige Erwartung und Hoffnungen, manchmal auch
Unsicherheit und Befürchtungen verbunden sind. Vor der Einschulung sind die
Tagesabläufe eines Kindes überwiegend durch spielerische Betätigung und
Lernweisen gekennzeichnet. Dies gilt auch für den Aufenthalt im Kindergarten
oder in anderen vorschulischen Einrichtungen, deren Förderung im allgemeinen
nicht auf verbindliche Lern- und Leistungsanforderungen festgelegt ist.
Der Übergang vom vorschulischen in den schulischen Lebensraum kann für das
einzelne Kind Probleme entstehen lassen durch den andersartig strukturierten
Aktionsrahmen der Schule, durch das neue Gruppengefüge, durch veränderte
Erwartungshaltungen der Erziehungsberechtigten und durch die Überleitung von
vorrangig spielzentrierten, situationsorientierten Lebens- und Lernformen zu
stärker strukturierten lehrplanorientierten Verhaltens-, Lern- und
Interaktionsformen.
Die Zusammenarbeit der Grundschule mit den Kindergärten und die gegenseitige
Kenntnis der pädagogischen Konzepte fördert den problemfreien Übergang vom
Elementar- in den Primärbereich.
Die kontinuierliche Lernentwicklung der Kinder steht im Mittelpunkt aller
konzeptionellen Überlegungen zum Schulbeginn. Die einzelne Grundschule muß
daher die unterschiedlichen vorschulischen Lernerfahrungen der Kinder in die
Entwicklung spezifischer Arbeitsweisen schulischen Lernens einbeziehen.
Die Schülerinnen und Schüler müssen ausreichend Zeit und Gelegenheit haben,
sich allmählich in Lebens- und Ordnungsformen der Schule einzugewöhnen und
sich zunehmend auf planmäßige Formen des Lernens und Arbeitens einzustellen.
Daraus ergeben sich die Forderungen nach der kinderorientierten Schule, nach
individualisierenden und differenzierenden Lernverfahren sowie der Öffnung des
Unterrichts. Die Methode des Lernens nach Tages- und Wochenplan, in Projekten
und Freiheit ermöglicht Lernen in unterschiedlichem Tempo und auf
unterschiedlichen Wegen.
Im Hinblick auf Unterricht und Erziehung bedeutet dies,
- daß den Schülerinnen und Schülern vielfältige Erfahrungsmöglichkeiten zum
handelnden Umgang mit ihrer Umwelt und für zwischenmenschliches Erleben und
Lernen angeboten werden,
- daß vielfältige Formen der Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten
entwickelt werden müssen und
- daß das Kind innerhalb einer pädagogisch gestalteten Klassen- und
Schulgemeinschaft soziale
Orientierungshilfen erhält.
In einer Atmosphäre der Anerkennung und des Vertrauens werden die für ein
sinnerfülltes Leben notwendigen positiven Grundeinstellungen und Werthaltungen
aufgebaut. Auf die Auseinandersetzung mit Kernproblemen unserer Zeit darf dabei
nicht verzichtet werden.
2.2 Schulanfang
In der Phase des Schulanfangs ist es wichtig, daß Schule, Elternhaus und
vorschulische Einrichtungen aufeinander zugehen und verstärkt zusammenarbeiten.
Geeignet sind z.B.
- gemeinsame Besprechungen sowie gegenseitige Besuche von Erzieherinnen oder
Erziehern und
Lehrkräften,
- Besuche der Kindergartenkinder in der Grundschule,
- gemeinsame Unternehmungen und Veranstaltungen,
- die gemeinsame Elternarbeit und
- die beratende Tätigkeit vorschulischer Einrichtungen. Verfahren zur
Festsetzung der Schulfähigkeit im Sinne einer Förderdiagnose sollen nur bei
besonders auffälligen Kindern angewendet werden. Die Schule soll darauf
aufbauend in enger Beratung und Abstimmung mit den Erziehungsberechtigten und
dem schulpsychologischen und -ärztlichen Dienst, ggf. auch mit
sonderpädagogischen Fachkräften und weiteren Diensten für schulpflichtige,
aber noch nicht schulfähige Kinder, ein individuelles Förderkonzept
erarbeiten. Dabei geht es insbesondere um die Bereitstellung eines anregenden
Lernumfelds. Eine von Schule und Elternhaus gemeinsam getragene Regelung ist
anzustreben.
Mit der Zunahme individueller schulischer Förderangebote wird die Notwendigkeit
zur Zurückstellung vom Schulbesuch verringert werden.
2.3 Anfangsunterricht
Die Lernvoraussetzungen der Schulanfängerinnen und Schulanfänger sind aufgrund
wachsender Unterschiede in ihrem Entwicklungsstand und ihrem sozialen Umfeld
sowie anderer innerer und äußerer Faktoren sehr verschieden. Die
gesellschaftlichen Veränderungen, die auf das schulische Leben und Lernen in
der Grundschule, insbesondere im Anfangsunterricht, Einfluß haben, sind
vielfältig:
- Die Struktur der Familie hat sich .verändert; die Zahl der alleinerziehenden
Mütter oder Väter wie auch der Ein-Kind-Familien ist in den beiden letzten
Jahrzehnten gestiegen.
- Das Wohnumfeld bietet nicht selten, insbesondere in städtischen
Ballungsräumen, zu wenig Möglichkeiten und Anreize für Eigenaktivitäten,
eingeschränkte Bewegungsräume für Spiele und für Erfahrungen im Umgang mit
Erde und Wasser, Pflanzen und Tieren. Andererseits machen einige Kinder sehr
vielseitige Bewegungserfahrungen in Sportvereinen, die sie häufig von frühem
Lebensalter an besuchen.
- Lesen und Schreiben haben in vielen Familien nur noch einen geringen
Stellenwert. Viele Kinder sehen inzwischen länger fern, als daß sie spielen,
handeln, experimentieren und erkunden; Fernsehen und Computerspiele ersetzen das
eigene Abenteuer.
Unverarbeitete Fernseherlebnisse lösen Konzentrationsstörungen und
Realitätsverlust aus. Andererseits sind durch das Fernsehen auch schon
jüngeren Kindern Wissensbereiche zugänglich, von denen Kinder früherer Zeiten
nur im Einzelfall und zufällig etwas erfuhren.
- Immer mehr Kinder machen Erfahrungen durch Kontakte mit Menschen anderer
Kulturkreise und fremder Sprachen. Ausländische Kinder bedürfen häufig
zusätzlicher Sprachförderung.
Aufgabe des Anfangsunterrichts ist es, an die individuellen Lebens- und
Lernerfahrungen der Schulanfängerinnen und Schulanfänger anzuknüpfen und
diese, wo immer möglich, für die Gestaltung erfolgreicher schulischer Lern-
und Entwicklungsprozesse zu nutzen.
Spielendes Lernen und lernendes Spielen nehmen wie schon im Kindergarten - dabei
einen wesentlichen Teil der Arbeit im Anfangsunterricht ein. Das Spiel kann den
Schulanfängerinnen und Schulanfängern Handlungsräume eröffnen, in denen sie
sich mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen. Es schafft Gemeinsamkeit, hilft
Konflikte lösen, verlangt Sensibilität und Einführungsvermögen, regt die
schöpferische Phantasie und Gestaltungskraft an und ist zugleich ein wichtiges
Erfahrungsfeld für Kinder, um ein Verständnis für die Funktion von
Ordnungssystemen und Vereinbarungen zu entwickeln.
Das freie Arbeiten in unterschiedlichen Formen eröffnet wie das Spiel, aber in
eingegrenzterem, zum Teil bereits stärker lernzielorientiertem Rahmen, den
Schulanfängerinnen und Schulanfängern Chancen, ihren Interessen nachzugehen
und bei der Auswahl und Gestaltung von Lernaktivitäten ihre eigenen
Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen.
Spiel und Freiarbeit machen ihnen deutlich, daß sie in ihren Interessen und
ihren Bedürfnissen nach Selbständigkeit ernstgenommen werden.
Besonders im Anfangsunterricht soll der Lernprozeß auf das ganzheitliche
Erfassen des Lerngegenstandes und unmittelbar einsichtiger Sinnzusammenhänge
gerichtet sein. Dementsprechend werden häufig mehrere Lernbereiche,
insbesondere z.B. Deutsch, Sachunterricht, darstellendes Spiel, Musik, Kunst und
Werken für eine lebendige und vielseitige Arbeit an thematischen Schwerpunkten
bzw. Unterrichtseinheiten zusammengefaßt. Das Klassenlehrerprinzip unterstützt
dies nachhaltig.
Erlebnisbezogenes, handlungsorientiertes und fächerübergreifendes Unterrichten
ist unter Beachtung sachbezogener Arbeitsweisen und inhaltlicher Aufbaufolgen im
allgemeinen durchgängiges Prinzip. Es schließt lehrgangsbezogenes Arbeiten,
z.B. im Lesen, Schreiben und Rechnen, ein. Sowohl für das Heranführen an
Lerngegenstände als auch für das Üben und die Sicherung von Lernergebnissen
sind differenzierende Aufgabenstellung sowie Materialien, Lernangebote und
Hilfen zu entwickeln. Auch individuelle Lernzeiteinteilungen und
unterschiedliche, persönliche Zugangsweisen sind zu ermöglichen, um mit jedem
Kind Lernerfolge zu erreichen, die seinen Fähigkeiten entsprechen.
Die Grundschule kann dieser pädagogischen Herausforderung am ehesten gerecht
werden, wenn es ihr von Beginn an gelingt, die Entfaltung produktiver
Eigenaktivität in Phasen des Spielens und freien Arbeitens möglichst organisch
mit Formen des zielorientierten, differenzierenden Unterrichtens zu verbinden
und bei Schülerinnen und Schülern einsichtiges Üben und planmäßiges
Arbeiten anzubahnen. In der Regel sollte eines aus dem anderen erwachsen und
wechselseitig zu einer Steigerung der Effektivität von Lernprozessen führen.
Diese Grundsätze gelten auch für den Schriftspracherwerb. Er gehört in den
ersten beiden Jahrgangsstufen zu den Kernaufgaben des Unterrichts. Die
Kenntnisse und Fähigkeiten der Schulanfängerinnen und Schulanfänger im Lesen
und Schreiben klaffen weit
auseinander. Die Grundschule muß den Zugang zur elementaren Schriftkultur
öffnen.
Für die Motivation, Lesen und Schreiben lernen zu wollen, spielt die soziale.
und emotionale Atmosphäre in der Lerngruppe eine wichtige Rolle. Günstige
Voraussetzungen für die Initiierung und Förderung der für den
Schriftspracherwerb erforderlichen Lernprozesse bei allen Kindern werden
geschaffen, wenn es gelingt,
- sowohl Frühlesen als auch langsam lernenden Kindern individuelle Lernanreize
und Lernhilfen zu
geben,
- Kindern einen an ihrem Erleben orientierten Umgang mit Schriftsprache zu
ermöglichen,
- ein Miteinander-Lernen und -Arbeiten zu entwickeln, das nicht durch
vorschnelle normorientierte Erwartungshaltungen und Leistungsvergleiche
beeinträchtigt wird, sondern von einer selbstverständlichen Akzeptanz und
Anerkennung unterschiedlicher Lernfortschritte und Grade des Könnens getragen
ist. Dann kann auch einsichtiges, differenziertes
Üben notwendiger Fertigkeiten und Fähigkeiten sachbezogen, reizvoll und damit
effektiv gestaltet werden. Für das Erlernen einer verbundenen Schrift ist die
Ausreifung feinmotorischer Fähigkeiten der Kinder von großer Bedeutung. Sie
kann durch graphomotorische Übungen, die auch die kreativen Fähigkeiten zum
Malen und Zeichnen entwickeln, gefördert werden. Einen wichtigen Beitrag kann
dazu das Schreiben der Druckschrift leisten, die auch für das Lesenlernen
bedeutsam ist. Für die Wahl einer verbundenen Schrift und den · Zeitpunkt
ihrer Einführung bestehen sowohl zwischen als auch in den Ländern hinsichtlich
der Lateinischen Ausgangsschrift, der Vereinfachten Ausgangsschrift und der
Schulausgangsschrift von 1968 unterschiedliche Präferenzen.
2.4 Sonderpädagogische Förderung
Der Kindergarten nimmt im Regelfall auch Kinder mit
Auffälligkeiten und sonderpädagogischem Förderbedarf auf und fördert sie im
Rahmen seiner Möglichkeiten. Nicht selten erwarten Eltern, daß die
Gemeinschaft der Kindergartengruppe erhalten bleibt und auch alle Kinder mit
Behinderungen in die Grundschule aufgenommen werden. Die vorhandenen positiven
Entwicklungen können nur dann fortgeführt werden, wenn die fachlichen,
personellen und materiellen Rahmenbedingungen gewährleistet sind.
Entsprechend der Verschiedenartigkeit in Art, Umfang, Schwere und Dauer der
Beeinträchtigung erfordert die sonderpädagogische Förderung in der
Grundschule unterschiedliche Arbeitsansätze.
Dabei wurden unterschiedliche Organisationsformen in den Ländern entwickelt:
- Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
Je früher vorbeugende Maßnahmen einsetzen, desto größer ist ihre
Wirksamkeit. Vorbeugende Maßnahmen (Prävention) zielen darauf, weitergehende
Auswirkungen einer bestehenden Behinderung zu vermeiden. Bei Kindern, die von
einer Behinderung bedroht sind, wirken vorbeugende Hilfen einer Behinderung
entgegen. Der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühförderung kommt
eine herausragende Bedeutung zu.
Vorbeugende sonderpädagogische Maßnahmen in der Grundschule können neben der
Förderung der Kinder auch die gemeinsame Beratung der Sonderschullehrkräfte
mit Lehrkräften der Grundschulen, mit den betroffenen Eltern sowie besondere
Förderung einer Schülerin bzw. eines Schülers umfassen. Je nach Notwendigkeit
im Einzelfall gehört auch die Zusammenarbeit mit bestimmten Institutionen,
Fachleuten und Beratungsdiensten dazu.
- Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht
Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf können eine Grundschule besuchen,
wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung
sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet sind. Grundschule und
Sonderschule sollen dafür Sorge tragen, daß behinderte und nichtbehinderte
Kinder gemeinsame Erfahrungen machen können.
Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren
Rahmenbedingungen sonderpädagogische qualifizierte Lehrkräfte,
individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Kontrolle der
Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte
Zusammenarbeit der beteiligten Lehr- und Fachkräfte. Dabei ist eine
inhaltliche, methodische und organisatorische Einbeziehung pädagogischer
Maßnahmen, auch individueller Unterrichtsziele und -inhalte, in die
Unterrichtsvorhaben für die gesamte Schulklasse vorzunehmen.
Sonderpädagogische Förderung findet dabei im und, wenn notwendig, auch neben
dem Klassenunterricht statt.
- Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen
Viele Grund- und Sonderschulen sind dabei, enge pädagogische Zusammenarbeit
aufzubauen. Kooperative Formen der Förderung und Unterrichtung erschließen
allen Beteiligten Möglichkeiten zur wechselseitigen Annäherung und zur
Erfahrung von mehr
Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Kooperative Formen können den
Unterricht und das Schulleben bereichern. Die Durchlässigkeit der Schulformen
und ihrer Bildungsgänge, die Erhöhung gemeinsamer Unterrichtsanteile und der
Wechsel von Schülerinnen und Schülern aus den Sonderschulen in Grundschulen
werden hierdurch begünstigt. Die räumliche Zusammenführung von Klassen der
Sonderschulen mit Klassen der Grundschule kann geeignete Rahmenbedingungen für
die angestrebte Kooperation schaffen.
Neben diesen Organisationsformen im Bereich der
Grundschulen besteht weiterhin die sonderpädagogische Förderung in
Sonderschulen und im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren. Hierzu wird
auf die "Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in
der Bundesrepublik Deutschland" ( Beschluß der Kultusministerkonferenz vom
6. Mai 1994) verwiesen.
3.
Übergang in die weiterführenden Schulen
3.1 Regelungen des Übergangs und ihre Problematik
Die Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der
Weiterentwicklung der Grundschule wirken sich beim Übergang in die
weiterführenden Schulen aus. Dabei erwachsen sowohl der Grundschule als auch
den weiterführenden Schulen neue Aufgaben. Der Übergang von der Grundschule in
eine weiterführende Schule wird von Eltern, Schülerinnen und Schülern als
eine für den weiteren Bildungsgang wichtige Entscheidung bewertet.
Grundschule und weiterführende Schule haben die
Aufgabe, die Eltern und Kinder intensiv und kontinuierlich bei der Wahl der
Schullaufbahn zu beraten, um Fehlentscheidungen soweit wie möglich zu
vermeiden. Dabei berücksichtigt die Empfehlung der Grundschule nicht nur die
Leistungen in bezug auf die fachlichen Ziele der Lehrpläne, sondern auch die
für den Schulerfolg wichtigen allgemeinen Fähigkeiten.
Das Votum der abgebenden Schule wird in allen Fällen mit eingehender Beratung
der Eltern verbunden. Es ist je nach Länderrecht Grundlage für die
Entscheidung bzw. Entscheidungshilfe für den weiteren Bildungsgang der
Schülerinnen und Schüler. Die Entscheidung wird entweder von den Eltern oder
von der Schule bzw. der Schulaufsicht getroffen.
3.2 Kontinuität und Wahl beim Übergang
Beim Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schule ist die
Erwartung des Neuen eng verknüpft mit dem Angewiesensein auf Vertrautes. Die
Schülerinnen und Schüler können sich neuen Herausforderungen mit besserer
Aussicht auf Erfolg dann stellen, wenn die Kontinuität der Bildung und
Erziehung nicht durch zu viele und zu einschneidende Veränderungen, wie sie
beim Übergang entstehen können, unterbrochen wird.
Die weiterführenden Schulen können in der Regel davon ausgehen, daß die
abgebenden Schulen die Schülerinnen und Schüler in die vielfältigen
Zusammenhänge ihrer Lebens- und Erfahrungswelt eingeführt haben.
Grundschule und weiterführende Schule sind gemeinsam für die Kontinuität von
Bildung und Erziehung beim Übergang verantwortlich.. Ebenso wie in der
Grundschule müssen in der weiterführenden Schule das jeweilige Umfeld, die
Lernausgangslagen und die Lernmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler
beachtet werden.
Jedes Kind muß lernen, auf dem Weg zum Erwachsenwerden Schwierigkeiten zu
meistern, doch bedarf es dazu der allmählichen Festigung seiner Persönlichkeit
und der Entwicklung und Unterstützung seiner Lernfreude. Deshalb müssen die
Schülerinnen und Schüler in die Arbeit der weiterführenden Schule behutsam
eingeführt werden. Dazu ist es notwendig, daß die Lehrkräfte der abgebenden
und der aufnehmenden Schulen mit der jeweils anderen Schulart bzw.
Schulstufe zusammenarbeiten und sich gegenseitig über die Bildungs- und
Erziehungsziele informieren.
Formen der Zusammenarbeit können sein
- gegenseitige Besuche zu Tagen der offenen Tür,
- gegenseitige Hospitationen im Unterricht,
- Erfahrungsaustausch in gemeinsamen Besprechungen,
- Besuchsmöglichkeit von Grundschülerinnen und Grundschülern in den
weiterführenden Schulen,
- gemeinsame Lehrerfortbildung.
In Schulzentren - insbesondere in solchen mit Grundschulen - sind gemeinsame
Veranstaltungen der abgebenden und aufnehmenden Schule sowie
schulartübergreifender Einsatz von Lehrkräften besonders naheliegend und
leicht zu realisieren.
4.
Unterrichtsergänzende und -erweiternde Maßnahmen
4.1 Veränderte Bedingungen und Sichtweisen
Die veränderten Lebensweltbedingungen der Kinder in der Bundesrepublik haben
dazu geführt, daß auch von der Grundschule ein Beitrag zur Betreuung von
Schülerinnen und Schülern vor und nach dem Unterricht sowie am Nachmittag
erwartet wird. Entscheidend für diese Erwartungshaltung sind die Veränderung
der Familienstruktur mit der steigenden Zahl von Einzelkindern und
alleinerziehenden Müttern und Vätern, die Veränderung der Arbeitswelt mit der
deutlich zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen, das sich verändernde
Selbstverständnis von Frauen, die Familie und Beruf, Erwerbstätigkeit und
Kindererziehung miteinander verbinden wollen, nicht zuletzt die für die Kinder
wenig förderlichen Bedingungen ihrer Lebensumwelt.
In den letzten Jahren ist in den alten Ländern der Wunsch der Eltern nach
festen Unterrichtszeiten und zusätzlicher Betreuung in der Grundschule immer
stärker hervorgetreten. Die Länder sehen diese Betreuung überwiegend nicht
als Aufgabe der Schule an, sind aber bereit, entsprechende Maßnahmen anderer
Träger in der Schule zu unterstützen.
Im Bereich der neuen Länder gab es vor der Wiederherstellung der deutschen
Einheit für alle Kinder der 1. bis 4. Jahrgangsstufe die Möglichkeit der
Betreuung im Schulhort, der organisatorisch und inhaltlich den Schulen
angeschlossen war. Etwa 80 % der Schülerinnen und Schüler waren in den Horten
angemeldet.
4.2 Lösungsansätze und Entwicklungstendenzen
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz weist die Aufgabe der Betreuung der
Jugendhilfe zu. Unterrichtsergänzende und -erweiternde Angebote liegen im
Geltungsbereich der Schulgesetze.
Die gesellschaftlichen Veränderungen legen es nahe, Grundschulkonzepte zu
fördern, die die veränderten Lebensweltbedingungen der Kinder bewußt
berücksichtigen und pädagogisch bestimmte Schulprogramme über den Unterricht
hinaus unter Ausweitung der Verweilzeit in der Schule entwickeln.
Angesichts der Vielgestaltigkeit der Probleme werden z.Z. in den Ländern
verschiedene Lösungen in Organisation und Finanzierung geplant und erprobt. Die
Angebote unterscheiden sich sowohl im zeitlichen Umfang (einerseits
unterrichtsergänzende und -erweiternde Angebote, die zu festen
Schulöffnungszeiten führen, und andererseits ganztägige Angebote) als auch im
Grad der Intensität der Verbindung mit dem bisherigen Unterrichtsangebot
(sowohl rein additive Lösungen als auch integrierte Lösungen, die sich auch
auf die Gestaltung von Unterricht und Schulleben auswirken).
Die Modelle unterscheiden sich auch hinsichtlich der
Höhe und Art der finanziellen Beteiligung des jeweiligen Landes, der
Schulträger, der freien Träger und der Eltern.
Die ganztägige Betreuung wird im wesentlichen nach
wie vor durch Horte gelöst. Sie sind in den meisten Ländern Einrichtungen der
Jugendhilfe. Gegenwärtig konzentrieren sich die pädagogischen Bemühungen vor
allem auf eine engere räumliche und inhaltliche Zusammenarbeit von Schule und
Hort (Hort in oder an der Schule, Schulkinderhaus).
Mit festen Schulöffnungszeiten (ca. 7.30 Uhr bis 13.00/14.00 Uhr - je nach
örtlichen Verhältnissen) bemühen sich immer mehr Grundschulen, den
Erziehungsberechtigten die Sicherheit. zu geben, daß ihre Kinder auch
außerhalb des Pflichtunterrichts in der Schule bleiben können. Dies geschieht
durch die Entwicklung eines veränderten Schul- und Unterrichtskonzepts bzw.
durch unterrichtsergänzende Angebote in außerschulischer Trägerschaft
(Schulträger, freie Träger, Elterninitiativen). Die Teilnahme an den
zusätzlichen Angeboten ist in der Regel freiwillig.
In einigen Ländern werden auch die Ganztagsschule und die Volle Halbtagsschule
als Formen gesehen, in denen eine Verbindung von Leben und Lernen, eine
Verknüpfung schul- und sozialpolitischer Anliegen für Kinder im
Grundschulalter besonders günstig gefördert werden kann.