Koedukation |
Siehe auch Kopftuch muslimische Schüler |
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Herr Paetow
Datum
.03.1994
14w6-70
Befreiung muslimischer Schülerinnen vom koedukativen Sportunterricht aus Gründen
ihres islamischen Glaubens
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit der Bitte um Kenntnisnahme teile ich Ihnen nachstehend inhaltlich die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts zum Anspruch auf Befreiung vom koedukativ erteilten
Sportunterricht aus religiösen Gründen vom 25.08.1993 mit:
1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt nochmals fest, daß das Grundrecht auf
Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und der
gleichermaßen mit Verfassungsrang ausgestattete staatliche Bildungs- und
Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) gleichrangige Grundrechte sind. Im Konfliktfall ist
bei dem daraufhin gebotenen schonenden Ausgleich beider Rechtspositionen im Rahmen
"praktischer Konkordanz" zu berücksichtigen, daß die staatliche
Schulverwaltung verpflichtet ist, alle ihr zu Gebote stehenden, zumutbaren
organisatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um jedenfalls für Mädchen ab dem Alter
von 12 Jahren einen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht einzurichten und
anzubieten. Nur dann, wenn die staatliche Schulverwaltung dieser Verpflichtung nicht
nachkommt oder nicht nachkommen kann, ist der Konflikt in der Weise zu lösen, daß ein
Anspruch auf Befreiung vom koedukativ erteilten Sportunterricht besteht.
2. Voraussetzung für die oben genannte Rechtsfolge ist das Vorliegen eines
Glaubenskonfliktes. Für diesen Glaubenskonflikt besteht eine Darlegungslast. Die
Schülerin muß darlegen, daß sie durch verbindliche Ge- oder Verbote ihres Glaubens
gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und daß sie in einen
Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn sie entgegen den Ge- oder Verboten ihres Glaubens
die gesetzliche Pflicht erfüllen müßte. Die Darlegung des Gewissenskonfliktes muß
konkret, substantiiert und objektiv nachvollziehbar erfolgen. Es reicht nicht die bloße -
nicht ernsthafte, möglicherweise aus anderen Gründen vorgeschobene - Berufung auf
behauptete Glaubensinhalte und Glaubensgebote.
3. Ist der Glaubenskonflikt in dem beschriebenen Sinne dargelegt und glaubhaft gemacht,
kann die Schülerin einen Anspruch auf Befreiung vom koedukativen Sportunterricht geltend
machen. Nur wenn die Schule einen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht nicht
einrichten kann, ist eine gänzliche Befreiung vom Sportunterricht vorzunehmen.
4. Weiterungen für andere Unterrichtsfächer und sonstige Schulveranstaltungen ergeben
sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Das Gericht stellt ausdrücklich
fest, daß die Besonderheiten, die im Fach Sport gegeben sind, bei allen anderen Fächern
nicht vorliegen.
Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage
Karl-Friedrich Paetow