L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten Senats vom 24.
September 2003
- 2 BvR 1436/02 -
- Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule
und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des
Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche
Grundlage.
- Der mit zunehmender religiöser
Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den
Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes
religiöser Bezüge in der Schule sein.
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1436/02 – |
Verkündet
am 24.09.2003
Seiffge
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle |
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In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
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- Bevollmächtigte: |
Rechtsanwälte Dr. Hellmut
Nonnenmacher und Koll.,
Wendtstraße 17, 76185 Karlsruhe - |
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gegen
a) |
das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2002 - BVerwG 2 C 21.01 -, |
b) |
das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Juni 2001 - 4 S
1439/00 -, |
c) |
das Urteil des
Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. März 2000 - 15 K 532/99 -, |
d) |
den
Widerspruchsbescheid des Oberschulamts Stuttgart vom 3. Februar 1999
- 1 P L., F./13 -, |
e) |
den Bescheid des
Oberschulamts Stuttgart vom 10. Juli 1998 |
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hat das Bundesverfassungsgericht
- Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Hassemer,
Sommer,
Jentsch,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff |
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aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
3. Juni 2003 durch |
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- Das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2002 - BVerwG 2 C 21.01 -, das
Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Juni 2001
- 4 S 1439/00 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom
24. März 2000 - 15 K 532/99 - und der Bescheid des Oberschulamts
Stuttgart vom 10. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 3. Februar 1999 - 1 P L., F./13 - verletzen die Beschwerdeführerin
in ihren Rechten aus Artikel 33 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 4
Absatz 1 und 2 und mit Artikel 33 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird
an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Die Bundesrepublik Deutschland und
das Land Baden-Württemberg haben der Beschwerdeführerin die
notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren je zur
Hälfte zu erstatten.
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Die Beschwerdeführerin begehrt die
Einstellung in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Mit ihrer
Verfassungsbeschwerde wendet sie sich gegen die von den
Verwaltungsgerichten bestätigte Entscheidung des Oberschulamts
Stuttgart, durch die ihre Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Probe
als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen mit der Begründung abgelehnt
worden ist, ihr fehle wegen der erklärten Absicht, in Schule und
Unterricht ein Kopftuch zu tragen, die für das Amt erforderliche
Eignung. |
1 |
1. Die 1972 in Kabul/Afghanistan
geborene Beschwerdeführerin lebt seit 1987 ununterbrochen in der
Bundesrepublik Deutschland und hat 1995 die deutsche Staatsangehörigkeit
erworben. Sie ist muslimischen Glaubens. Nach Ablegung der Ersten
Staatsprüfung und Ableistung des Vorbereitungsdienstes bestand die
Beschwerdeführerin 1998 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen mit dem Schwerpunkt Hauptschule und den
Ausbildungsfächern Deutsch, Englisch und
Gemeinschaftskunde/Wirtschaftslehre. |
2 |
2. Den Antrag der Beschwerdeführerin
auf Einstellung in den Schuldienst an Grund- und Hauptschulen des Landes
Baden-Württemberg lehnte das Oberschulamt Stuttgart wegen mangelnder
persönlicher Eignung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die
Beschwerdeführerin sei nicht bereit, während des Unterrichts auf das
Tragen eines Kopftuchs zu verzichten. Das Kopftuch sei Ausdruck
kultureller Abgrenzung und damit nicht nur religiöses, sondern auch
politisches Symbol. Die mit dem Kopftuch verbundene objektive Wirkung
kultureller Desintegration lasse sich mit dem Gebot der staatlichen
Neutralität nicht vereinbaren. |
3 |
3. In ihrem Widerspruch machte die
Beschwerdeführerin geltend, das Tragen des Kopftuchs sei nicht nur
Merkmal ihrer Persönlichkeit, sondern auch Ausdruck ihrer religiösen
Überzeugung. Nach den Vorschriften des Islam gehöre das Kopftuchtragen
zu ihrer islamischen Identität. Die Ablehnungsentscheidung verletze das
Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Trotz der
Verpflichtung des Staates, in Glaubensfragen Neutralität zu bewahren,
müsse er bei der Erfüllung des Erziehungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG
nicht völlig auf religiös-weltanschauliche Bezüge verzichten, sondern
habe einen schonenden Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen
zu ermöglichen. Anders als beim Kruzifix handele es sich beim Kopftuch
nicht um ein Glaubenssymbol. Zudem gehe es hier um ihr individuelles und
religiös motiviertes Handeln als Grundrechtsträgerin. |
4 |
4. Das Oberschulamt Stuttgart wies den
Widerspruch der Beschwerdeführerin zurück. Zwar verbiete Art. 33 Abs. 3
GG die Ablehnung eines Bewerbers allein wegen seines religiösen
Bekenntnisses; er schließe aber nicht aus, an eine mit dem Bekenntnis
verbundene mangelnde Eignung für den öffentlichen Dienst anzuknüpfen.
Das Tragen des Kopftuchs aus Glaubensgründen falle zwar in den
Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG. Die Religionsfreiheit der
Beschwerdeführerin werde durch das Grundrecht auf negative
Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler, das Erziehungsrecht der
Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie die Verpflichtung des Staates zu
weltanschaulicher und religiöser Neutralität aber eingeschränkt. Auch
wenn die Beschwerdeführerin nicht für ihre Glaubensüberzeugung
missioniere, bringe sie doch durch das Tragen des Kopftuchs während des
Unterrichts jederzeit und ohne dass sich die Schüler dem entziehen
könnten, ihre Zugehörigkeit zum Islam zum Ausdruck; damit zwinge sie die
Schüler, sich mit dieser Glaubensäußerung auseinander zu setzen. Als
junge Menschen mit noch nicht gefestigter Persönlichkeit seien sie für
Einflüsse jeder Art in besonderer Weise offen. Maßgeblich sei insoweit
allein die objektive Wirkung des Kopftuchs. Gerade für Schülerinnen
muslimischen Glaubens könne hier ein erheblicher Anpassungsdruck
entstehen; das widerspräche dem pädagogischen Auftrag der Schule, auf
Integration der muslimischen Schülerinnen und Schüler hinzuwirken. |
5 |
5. Das Verwaltungsgericht Stuttgart
wies die Klage der Beschwerdeführerin ab und führte zur Begründung aus:
Das religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs durch eine Lehrerin
stelle einen Eignungsmangel im Sinne des § 11 Abs. 1 Landesbeamtengesetz
Baden-Württemberg (LBG) dar. Der Religionsfreiheit der
Beschwerdeführerin stünden die Neutralitätspflicht des Staates und die
Rechte der Schüler und ihrer Eltern gegenüber. |
6 |
Das von der Beschwerdeführerin
getragene Kopftuch demonstriere auffallend und eindrucksvoll ihr
Bekenntnis zum Islam; dabei sei unerheblich, dass das Kopftuch, anders
als das Kruzifix für den christlichen Glauben, nicht als symbolischer
Inbegriff des islamischen Glaubens gelte. Aufgrund der allgemeinen
Schulpflicht und des fehlenden Einflusses der Schüler auf die Auswahl
ihrer Lehrer bestehe für die Schüler keine Ausweichmöglichkeit. Daraus
ergebe sich die Gefahr einer - auch ungewollten - Beeinflussung durch
den als Respektsperson empfundenen Lehrer. |
7 |
6. Die hiergegen gerichtete Berufung
wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurück. Im Rahmen der
Ermessensentscheidung über die Einstellung eines Bewerbers sei bei der
Beurteilung, ob der Bewerber geeignet sei, eine gerichtlich nur
beschränkt überprüfbare Prognose anzustellen. Zur Eignung gehöre auch
die Erwartung, dass der Bewerber seine Pflichten als Beamter erfüllen
werde. Die Einschätzung, der Beschwerdeführerin fehle wegen des von ihr
aus religiösen Gründen beabsichtigten Tragens eines Kopftuchs im
Unterricht die Eignung für das angestrebte Amt einer Grund- und
Hauptschullehrerin im öffentlichen Schuldienst, sei nicht zu
beanstanden. Die persönliche Eignung von Lehrern sei auch danach zu
bestimmen, inwieweit sie in der Lage seien, die auf der Grundlage des
Art. 7 Abs. 1 GG festgelegten Erziehungsziele umzusetzen und den
staatlichen Erziehungsauftrag zu erfüllen. Mangels ursächlicher
Anknüpfung an die Religionszugehörigkeit verstoße der Dienstherr nicht
gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 33 Abs. 3 GG, wenn er die
Einstellung ablehne, weil ein Bewerber die verfassungsrechtlich
gezogenen Grenzen im Unterricht aus religiösen Gründen nicht einhalten
wolle. |
8 |
In der Schule träfen die
unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der
Schüler und ihrer Eltern besonders intensiv aufeinander. Der sich
hieraus ergebende Konflikt erfordere einen Ausgleich in praktischer
Konkordanz. Dabei müsse der Staat auf religiös-weltanschauliche Bezüge
in der Schule nicht völlig verzichten. Auch müsse der Dienstherr bei der
Eignungsbeurteilung die Grundrechte des Bewerbers beachten. Die
Wahrnehmung der Religions- und Bekenntnisfreiheit könne deshalb für sich
allein kein Ausschlussgrund sein. Das von der Beschwerdeführerin
beabsichtigte religiös motivierte Tragen eines Kopftuchs auch im
Unterricht würde aber gegen das vom Staat im Schulbereich zu beachtende
Neutralitätsgebot und gegen die Grundrechte der Schüler und ihrer Eltern
und damit gegen die der Beschwerdeführerin als Repräsentantin des
Staates obliegende Dienstpflicht zur unparteiischen, dem Wohl der
Allgemeinheit dienenden Amtsführung verstoßen. |
9 |
Die dem Staat vom Grundgesetz
auferlegte Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität sei keine
distanzierende, abweisende im Sinne der laizistischen
Nichtidentifikation mit Religionen und Weltanschauungen, sondern eine
respektierende, "vorsorgende" Neutralität, die den Staat verpflichte,
dem Einzelnen wie auch den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
einen Betätigungsraum zu sichern. Im Sinne dieser vorsorgenden
Neutralität dürfe der Staat indes den religiösen Frieden in der Schule
nicht von sich aus gefährden. Die Schüler seien im Unterricht ohne
Ausweichmöglichkeiten religiösen Symbolen ausgesetzt; hier schütze das
Gebot staatlicher Neutralität vorrangig die negative Bekenntnisfreiheit
andersgläubiger Schüler und das Recht der Eltern zur Kindererziehung in
religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. |
10 |
Das Tragen des Kopftuchs durch eine
Lehrerin im Unterricht könne zu einer religiösen Beeinflussung der
Schüler und zu Konflikten innerhalb der jeweiligen Schulklasse führen,
auch wenn die Beschwerdeführerin glaubhaft jegliche Absicht der Werbung
und Missionierung verneint habe. Entscheidend sei allein die Wirkung,
die durch den Anblick des Kopftuchs bei den Schülern eintrete. Es
handele sich beim islamisch motivierten Kopftuch um ein deutlich
sichtbares religiöses Symbol, dem sich der Betrachter nicht entziehen
könne. Insbesondere Grundschüler seien kaum in der Lage, die religiöse
Motivation für das Tragen eines Kopftuchs intellektuell zu verarbeiten
und sich bewusst für Toleranz oder Kritik zu entscheiden. Die darin
liegende Gefahr der religiösen Beeinflussung sei mit dem gebotenen
Schutz der negativen Bekenntnisfreiheit von Schülern und Eltern nicht
mehr zu vereinbaren und stehe im Gegensatz zum staatlichen
Neutralitätsgebot. Zudem stelle die bereits vorbeugende Verhinderung
religiös bedingter Konflikte in der Schule, wie sie hier nach der
Lebenserfahrung hinreichend absehbar seien, ein legitimes Ziel
staatlicher Schulgestaltung dar. Eine zumutbare pragmatische Lösung des
Konflikts, der eine weiter gehende Berücksichtigung der
Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführerin erlaube, sei angesichts des an
Grund- und Hauptschulen vorherrschenden Klassenlehrerprinzips und wegen
schulorganisatorischer Schwierigkeiten bei Schul- und Klassenwechsel
nicht möglich. |
11 |
7. Das Bundesverwaltungsgericht wies
die Revision der Beschwerdeführerin zurück. Die Einstellung in den
öffentlichen Schuldienst sei zutreffend von der Bereitschaft der
Beschwerdeführerin abhängig gemacht worden, das Kopftuch im Unterricht
abzulegen. |
12 |
Da die Beschwerdeführerin das
Bekleidungsgebot aus ihrem Glauben ableite, genieße sie den Schutz des
Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG und des grundrechtsgleichen Rechts aus
Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GG. Trotz fehlenden Gesetzesvorbehalts sei die
Glaubensfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen
ergäben sich aus der Verfassung selbst, insbesondere aus kollidierenden
Grundrechten Andersdenkender. Art. 4 Abs. 1 GG verleihe dem Einzelnen
auch keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, seine Glaubensüberzeugung
im Rahmen staatlicher Einrichtungen zu betätigen oder mit staatlicher
Unterstützung zum Ausdruck zu bringen. Aus der umfassend gewährleisteten
Glaubensfreiheit folge das Gebot staatlicher Neutralität gegenüber den
unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. In dem vom Staat
organisierten und gestalteten Lebensbereich der bekenntnisfreien
Pflichtschule komme Art. 4 Abs. 1 GG freiheitssichernde Bedeutung
vornehmlich zugunsten der schulpflichtigen Kinder und ihrer Eltern zu.
Der Staat müsse hierbei auch auf die Religionsfreiheit der Eltern und
das ihnen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Erziehungsrecht
Rücksicht nehmen. Kinder seien in öffentlichen Pflichtschulen ohne
jegliche Parteinahme des Staates und der ihn repräsentierenden
Lehrkräfte für christliche Bekenntnisse oder für andere religiöse und
weltanschauliche Überzeugungen zu unterrichten und zu erziehen. Das
Neutralitätsgebot gewinne mit wachsender kultureller und religiöser
Vielfalt - bei einem wachsenden Anteil bekenntnisloser Schüler -
zunehmend an Bedeutung und sei nicht etwa im Hinblick darauf
aufzulockern, dass die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt in
Deutschland inzwischen auch das Leben in der Schule präge. |
13 |
Wegen der Bedeutung, die Muslime dem
"islamischen Kopftuch" beilegten, sei es auch für andere sinnbildlicher
Ausdruck einer bestimmten Glaubensüberzeugung und werde allgemein als
Bekenntnis zum islamischen Glauben verstanden. Das Tragen eines
Kopftuchs durch die Lehrerin im Unterricht führe dazu, dass die Schüler
während der Unterrichtszeit von Staats wegen ständig und unausweichlich
mit diesem offenkundigen Symbol einer Glaubensüberzeugung konfrontiert
würden. Hierbei handele es sich nach Dauer und Intensität nicht um eine
für die Glaubensfreiheit der Schüler unerhebliche Bagatelle. Die
Lehrerin trete den Schülern als vom Staat berufene und ihn
repräsentierende Autoritätsperson gegenüber. Ob ihr sichtbares Zeichen
eines religiösen Bekenntnisses Einfluss auf die Schüler habe, sei zwar
schwierig einzuschätzen; Einwirkungen der durch das Kopftuch
symbolisierten Glaubensinhalte auf Schüler im Grund- und Hauptschulalter
von vier bis vierzehn Jahren ließen sich aber jedenfalls nicht
ausschließen. |
14 |
Das Recht der Lehrerin, sich gemäß
ihrer religiösen Überzeugung zu verhalten, müsse während des
Schulunterrichts gegenüber der konkurrierenden Glaubensfreiheit der
Schüler und Eltern zurücktreten. Weder das Gebot der Toleranz noch der
Grundsatz der praktischen Konkordanz zwängen dazu, das Elternrecht und
die Glaubensfreiheit der Eltern und der Schüler einer öffentlichen
Schule zugunsten einer ein Kopftuch tragenden Lehrerin zurückzudrängen.
Lehrer müssten gemäß Art. 33 Abs. 5 GG Einschränkungen ihrer positiven
Bekenntnisfreiheit hinnehmen, die erforderlich seien, um einen
Schulunterricht in einem Umfeld religiöser Neutralität sicher zu
stellen. |
15 |
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet
sich die Beschwerdeführerin gegen die im Verwaltungsverfahren und im
Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ergangenen Entscheidungen. Sie
rügt die Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und
3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie von Art. 33 Abs. 2 und 3 GG. |
16 |
Auch einer Kopftuch tragenden
muslimischen Bewerberin stehe verfassungsrechtlich ein subjektives Recht
auf Einstellung nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG zu. Die Zulassung zu
öffentlichen Ämtern habe unabhängig von einem religiösen Bekenntnis zu
erfolgen (Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GG), ohne dass dem Bewerber insoweit
Nachteile erwachsen dürften (Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG). Das Tragen eines
Kopftuchs sei danach kein Eignungsmangel. |
17 |
Die Fachgerichte legten ihren
Entscheidungen eine gewandelte Auffassung des staatlichen
Neutralitätsgebots in der Bundesrepublik Deutschland zugrunde. Dieses
strikte Neutralitätsverständnis führe zur Zurückdrängung der
Möglichkeit, dass ein Beamter sich während des Dienstes zu seiner
religiösen Haltung bekenne. Im Gegensatz zu einem laizistischen Staat
sei die Bundesrepublik Deutschland auch im Bereich der Schule von
Verfassungs wegen offen für eine religiöse Betätigung und befolge eine
so genannte übergreifende, offene und respektierende Neutralität. Die
Schule sei kein Refugium, in dem die Augen vor der gesellschaftlichen
Pluralität und Realität verschlossen werden könnten. Vielmehr habe die
Schule den Erziehungsauftrag, die Heranwachsenden auf das vorzubereiten,
was ihnen in der Gesellschaft begegne. |
18 |
Die maßgeblichen Aussagen in der
Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien auf den
vorliegenden Fall nicht übertragbar. Während es dort um ein religiöses
Symbol gegangen sei, dessen Anbringung von der staatlichen Einrichtung
Schule verantwortet werde, sei hier die Beschwerdeführerin als
Grundrechtsträgerin in ihrem subjektiven Recht auf Glaubensfreiheit
betroffen. Eine Einschränkung der Grundrechtsausübung komme bei
vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten nur im Falle konkreter
Gefährdung in Betracht. Hieran fehle es; eine angebliche Suggestivkraft
des Kopftuchs und die behauptete Möglichkeit schädlicher psychischer
Beeinflussung seien nicht belegt. Im Vorbereitungsdienst der
Beschwerdeführerin sei es nicht zu Konflikten oder zu ernsthaften
Schwierigkeiten gekommen. Die von der Einstellungsbehörde angeführten
Gefährdungen seien lediglich abstrakt-theoretischer Natur. Beim
Auftreten konkreter Konflikte gebe es zumutbare Lösungsmöglichkeiten. |
19 |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben
sich die Bundesregierung und das Land Baden-Württemberg geäußert. |
20 |
1. Namens der Bundesregierung hat das
Bundesministerium des Innern ausgeführt, weder aus Art. 33 Abs. 2 GG
noch aus den zu dessen Konkretisierung ergangenen landesrechtlichen
Vorschriften folge ein Anspruch auf Einstellung in ein öffentliches Amt.
Vielmehr entscheide hierüber der Dienstherr nach pflichtgemäßem
Ermessen. Für die Eignung eines Bewerbers komme es auf die Anforderungen
des konkret zu besetzenden Amtes an; sie sei aufgrund einer Prognose
festzustellen, die eine Würdigung der gesamten Persönlichkeit des
Bewerbers voraussetze. Die Eignung für den Schuldienst umfasse die
Fähigkeit und die Bereitschaft der Lehrkraft, die sich aus dem
Beamtenverhältnis ergebenden Dienstpflichten unter den konkreten
Bedingungen des Schulbetriebs zu erfüllen. Zu den in Art. 33 Abs. 5 GG
verankerten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, welche die
Grundrechte der Beamten beschränkten, gehöre die Verpflichtung beamteter
Lehrkräfte zu objektiver und neutraler Amtsführung. Diese Dienstpflicht
habe auch die Verpflichtung zu einer religiös und weltanschaulich
neutralen Amtsführung unter Respektierung der Standpunkte von Schülern
und Eltern zum Inhalt. |
21 |
Unabhängig von der subjektiven
Einschätzung der Beschwerdeführerin, dass ihr eine Demonstration ihres
Glaubens fern liege, komme der Gefahrenprognose des Dienstherrn, der
Schulfriede könne durch das auffällige Erscheinungsbild der Lehrerin
nachhaltig gestört werden, großes Gewicht zu, insbesondere weil die
Schüler während des gesamten Unterrichts durch den Anblick des Kopftuchs
mit dem Ausdruck einer fremden Religiosität ohne Ausweichmöglichkeit
konfrontiert seien. Ein Dienstherr, der unter diesen Umständen von einer
fehlenden Eignung der Lehrkraft mangels umfassender Einsetzbarkeit
ausgehe, halte den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum ein. Er
verletze auch nicht das Diskriminierungsverbot des Art. 33 Abs. 3 GG, da
die Ablehnung nicht auf dem religiösen Bekenntnis, sondern auf fehlender
Distanz und Neutralität der Lehrkraft beruhe. Jedenfalls Lehrer an
Grund- und Hauptschulen seien gehalten, auf das Tragen eines islamischen
Kopftuchs im Unterricht und damit auch insoweit auf die Ausübung
religiöser Bekenntnisfreiheit zu verzichten. |
22 |
Ebenso wie beim Kruzifix im
Klassenzimmer sei beim muslimischen Kopftuch maßgeblich, dass aufgrund
der allgemeinen Schulpflicht - anders als bei einer flüchtigen Begegnung
im Alltagsleben - die dauernde Konfrontation mit einem religiösen Symbol
unausweichlich sei. Die Eigenschaft der Beschwerdeführerin als
Grundrechtsträgerin ändere nichts daran, dass das von ihr verwendete
Symbol dem Staat zuzurechnen sei. Allerdings sei bei der Abwägung zu
berücksichtigen, dass mit dem Tragen des religiösen Symbols gleichzeitig
auch ein Grundrecht ausgeübt werde. Bei der Suche nach praktischer
Konkordanz sei neben den kollidierenden Grundrechtspositionen auch das
nicht zur Disposition stehende staatliche Neutralitätsgebot zu
berücksichtigen. Diesem könne hier nur durch den Verzicht auf das
religiöse Symbol Rechnung getragen werden. Eine Verschärfung "in
Richtung auf ein laizistisches Verständnis" sei damit nicht verbunden.
Vielmehr werde lediglich der wachsenden Bedeutung staatlicher
Neutralität bei zunehmender religiöser Vielfalt der Gesellschaft
Rechnung getragen. |
23 |
2. Das Land Baden-Württemberg
(Oberschulamt Stuttgart) hat vorgetragen, die verfassungsrechtliche
Prüfung habe sich darauf zu beschränken, ob das Urteil des Fachgerichts
willkürfrei sei und ob es Auslegungsfehler aufweise, die auf einer
grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines
Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhten.
Das Bundesverwaltungsgericht habe die verfassungsrechtlichen Aspekte des
Falles vollumfänglich ausgeleuchtet, eingehend gewürdigt und abgewogen
und sei zu einem zutreffenden, willkürfreien Ergebnis gelangt. |
24 |
Sowohl Art. 33 Abs. 2 GG als auch die
Grundrechte aus Art. 4 und Art. 6 GG seien zutreffend ausgelegt und
angewendet worden. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als Garantie der negativen
Religionsfreiheit sichere die Freiheit vor Bekundungen religiöser
Meinungen, denen die Schüler sich in der Schule nicht entziehen könnten.
Dabei sei zu beachten, dass Schulkinder für mentale Beeinflussungen
durch Autoritätspersonen infolge ihrer noch nicht fertig ausgeformten
Persönlichkeit besonders zugänglich seien und in ihrer Entwicklungsphase
in erster Linie durch Imitation des Erwachsenenverhaltens lernten.
Daneben komme insbesondere bei religionsunmündigen Kindern das
elterliche Erziehungsrecht zum Tragen. |
25 |
Der Staat habe nach Art. 7 Abs. 1 GG
einen eigenständigen und dem Art. 6 Abs. 2 GG gleichgeordneten
Erziehungsauftrag. Die praktische Konkordanz zwischen dem staatlichen
Erziehungsauftrag und den Rechten von Eltern und Kindern aus Art. 4
Abs. 1 und 2 GG werde dadurch hergestellt, dass der Staat sich religiös
und weltanschaulich neutral verhalte. Das Neutralitätsgebot gewinne umso
höhere Bedeutung, je mehr die Gesellschaft religiös vielfältig sei. Die
Neutralität des Staates müsse sich in der Person des Lehrers erweisen.
Auch eine übergreifende, offene und respektierende Neutralität erlaube
nicht eine individuelle Religionsausübung als Emanation der
Staatsgewalt. Das Bundesverwaltungsgericht habe keinen gewandelten
Neutralitätsbegriff eingeführt, sondern lediglich dem Neutralitätsgebot
in einer religionspluralistischen Gesellschaft eine wachsende Bedeutung
zugewiesen. Da das Kopftuch den Kindern im Schulunterricht ständig vor
Augen stehe, könne die Möglichkeit einer Einwirkung auf sie nicht
ausgeschlossen werden; schon damit werde das Neutralitätsgebot gegenüber
religionsunmündigen Kindern verletzt. |
26 |
Zur Frage des Einflusses religiöser
Ausdrucksformen im staatlichen Unterricht auf die Schülerinnen und
Schüler hat das Oberschulamt Stuttgart eine sachverständige Äußerung von
Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Oser, Fribourg/Schweiz, vorgelegt. |
27 |
In der mündlichen Verhandlung haben
die Beschwerdeführerin und ihr Bevollmächtigter sowie das Land
Baden-Württemberg
(Oberschulamt Stuttgart), vertreten durch Professor Dr. F. Kirchhof, ihr
schriftsätzliches Vorbringen ergänzt und vertieft. Als sachverständige
Auskunftspersonen haben sich Frau Dr. Karakasoglu, Essen, zu den Gründen
junger Musliminnen in Deutschland für das Anlegen eines Kopftuchs sowie
Herr Professor Dr. Riedesser, Hamburg, Herr Professor Dr. Bliesener,
Kiel, und Frau Psychologiedirektorin Leinenbach (Oberschulamt Stuttgart)
zu Fragen einer möglichen Beeinflussung von Kindern im Grund- und
Hauptschulalter durch religiöse Symbole in der Schule aus kinder- und
entwicklungspsychologischer Sicht geäußert. |
28 |
Die zulässige Verfassungsbeschwerde
ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 33
Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und mit Art. 33
Abs. 3 GG. |
29 |
Das Tragen eines Kopftuchs macht im
hier zu beurteilenden Zusammenhang die Zugehörigkeit der
Beschwerdeführerin zur islamischen Religionsgemeinschaft und ihre
persönliche Identifikation als Muslima deutlich. Die Qualifizierung
eines solchen Verhaltens als Eignungsmangel für das Amt einer Lehrerin
an Grund- und Hauptschulen greift in das Recht der Beschwerdeführerin
auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt aus Art. 33 Abs. 2 GG in
Verbindung mit dem ihr durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten
Grundrecht der Glaubensfreiheit ein, ohne dass dafür gegenwärtig die
erforderliche, hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage besteht.
Damit ist der Beschwerdeführerin der Zugang zu einem öffentlichen Amt in
verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise verwehrt worden. |
30 |
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle
im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde beschränkt sich in der
Regel auf die Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen bei der
Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich
unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite des in Anspruch
genommenen Grundrechts beruhen oder willkürlich sind (vgl. hierzu
BVerfGE 18, 85 <93>;
stRspr). Soweit allerdings das Gericht, dessen Entscheidung mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, Grundrechtsbestimmungen
unmittelbar selbst ausgelegt und angewandt hat, obliegt es dem
Bundesverfassungsgericht, Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu
bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte nach ihrem Umfang und
Gewicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden
sind. So liegt es hier. Das Bundesverwaltungsgericht und auch die
Vorinstanzen haben eine bestimmte Interpretation von Art. 33 Abs. 2 GG
in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zur tragenden Grundlage ihrer
Entscheidungen gemacht. Entsprechend seiner Aufgabe, das
Verfassungsrecht zu bewahren, zu entwickeln und fortzubilden und
insbesondere die verschiedenen Funktionen einer Grundrechtsnorm zu
erschließen (vgl.
BVerfGE 6, 55 <72>;
7, 377 <410>), ist das
Bundesverfassungsgericht insoweit im Verhältnis zu den Fachgerichten
nicht auf die Prüfung beschränkt, ob diese das Verfassungsrecht
willkürfrei zugrunde gelegt haben, sondern hat selbst letztverbindlich
über dessen Auslegung und Anwendung zu entscheiden. |
31 |
1. Art. 33 Abs. 2 GG eröffnet jedem
Deutschen nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen
Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. |
32 |
a) Das grundrechtsgleiche Recht des
Art. 33 Abs. 2 GG gewährleistet das Maß an Freiheit der Berufswahl
(Art. 12 Abs. 1 GG), das angesichts der von der jeweils zuständigen
öffentlich-rechtlichen Körperschaft zulässigerweise begrenzten Zahl von
Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst möglich ist (vgl.
BVerfGE 7, 377 <397 f.>;
39, 334 <369>). Art. 33
Abs. 2 GG vermittelt keinen Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches
Amt (vgl.
BVerfGE 39, 334 <354>;
BVerwGE 68, 109 <110>). Der Zugang zu einer Tätigkeit in einem
öffentlichen Amt (die Zulassung zum Beruf, die gleichzeitig die freie
Berufswahl betrifft) darf insbesondere durch subjektive
Zulassungsvoraussetzungen beschränkt werden (vgl.
BVerfGE 39, 334 <370>).
Dies geschieht nach Maßgabe des § 7 des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG)
vom 31. März 1999 (BGBl I S. 654)
in den Beamtengesetzen der Länder durch Regelungen über die für die
Berufung in ein Beamtenverhältnis erforderlichen persönlichen
Voraussetzungen. § 11 Abs. 1 des hier maßgeblichen Landesbeamtengesetzes
Baden-Württemberg (LBG) in der Fassung vom 19. März 1996 (GBl S. 286)
bestimmt, dass Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben,
religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen
vorzunehmen sind. |
33 |
b) Der Gesetzgeber hat bei der
Aufstellung von Eignungskriterien für das jeweilige Amt und bei der
Ausgestaltung von Dienstpflichten, nach denen die Eignung von Bewerbern
für den öffentlichen Dienst zu beurteilen ist, grundsätzlich eine weite
Gestaltungsfreiheit. Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit ergeben sich aus
den Wertentscheidungen in anderen Verfassungsnormen; insbesondere die
Grundrechte setzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Schranken.
Auch im Beamtenverhältnis beanspruchen die Grundrechte Geltung, wobei
der Pflichtenkreis des Beamten gemäß Art. 33 Abs. 5 GG dessen rechtliche
Möglichkeit begrenzt, von Grundrechten Gebrauch zu machen (vgl.
BVerfGE 39, 334 <366 f.>):
Der Grundrechtsausübung des Beamten im Dienst können Grenzen gesetzt
werden, die sich aus allgemeinen Anforderungen an den öffentlichen
Dienst oder aus besonderen Erfordernissen des jeweiligen öffentlichen
Amtes ergeben (vgl. etwa BVerwGE 56, 227 <228 f.>). Wird indessen schon
der Zugang zu einem öffentlichen Amt im Hinblick auf ein künftiges
Verhalten des Bewerbers verweigert, das unter grundrechtlichem Schutz
steht, muss sich die Annahme eines hierauf gestützten Eignungsmangels
ihrerseits vor dem betroffenen Grundrecht rechtfertigen lassen. |
34 |
c) Die Beurteilung der Eignung eines
Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt durch den
Dienstherrn bezieht sich auf die künftige Amtstätigkeit des Betroffenen
und enthält zugleich eine Prognose, die eine konkrete und
einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers
verlangt (vgl.
BVerfGE 39, 334 <353>;
92, 140 <155>). Sie
umfasst auch eine vorausschauende Aussage darüber, ob der Betreffende
die ihm in dem angestrebten Amt obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten
erfüllen wird. Bei diesem prognostischen Urteil steht dem Dienstherrn
ein weiter Beurteilungsspielraum zu; die Nachprüfung durch die
Fachgerichte beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ob der Dienstherr
von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den beamten- und
verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe
nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl.
BVerfGE 39, 334 <354>;
BVerwGE 61, 176 <186>; 68, 109 <110>; 86, 244 <246>). Die Prognose des
Dienstherrn über die Eignung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt hat
sich an den dem Beamten obliegenden Pflichten (§§ 35 ff. BRRG; §§ 70 ff.
LBG) zu orientieren. Dienstpflichten, deren Erfüllung vom Bewerber
erwartet wird, müssen gesetzlich hinreichend bestimmt sein und die durch
seine Grundrechte gesetzten Grenzen beachten. |
35 |
2. Eine dem Beamten auferlegte
Pflicht, als Lehrer die eigene Zugehörigkeit zu einer
Religionsgemeinschaft in Schule und Unterricht nicht durch das Befolgen
von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen,
greift in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle
Glaubensfreiheit ein. Sie stellt den Betroffenen vor die Wahl, entweder
das angestrebte öffentliche Amt auszuüben oder dem von ihm als
verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten. |
36 |
Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die
Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und
weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten
Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend
zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl.
BVerfGE 24, 236 <245 f.>;
32, 98 <106>;
44, 37 <49>;
83, 341 <354>). Es
erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben
oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben
zu bekunden und zu verbreiten (vgl.
BVerfGE 24, 236 <245>).
Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den
Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren
Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative
Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein
Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen
(vgl.
BVerfGE 32, 98 <106 f.>;
33, 23 <28>;
41, 29 <49>). |
37 |
Die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
verbürgte Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet.
Einschränkungen müssen sich daher aus der Verfassung selbst ergeben.
Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von
Verfassungsrang (vgl.
BVerfGE 28, 243 <260 f.>;
41, 29 <50 f.>;
41, 88 <107>;
44, 37 <49 f., 53>;
52, 223 <247>;
93, 1 <21>). Die
Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit bedarf
überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl.
BVerfGE 83, 130 <142>). |
38 |
3. Auch Art. 33 Abs. 3 GG ist berührt.
Danach ist die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig von dem
religiösen Bekenntnis (Satz 1); niemandem darf aus der Zugehörigkeit
oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder zu einer Weltanschauung
ein Nachteil erwachsen (Satz 2). Mithin ist ein Zusammenhang zwischen
der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis
ausgeschlossen. Art. 33 Abs. 3 GG richtet sich in erster Linie gegen
eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Religion anknüpft. Darüber hinaus verbietet die Vorschrift
jedenfalls auch, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern aus Gründen zu
verwehren, die mit der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten
Glaubensfreiheit unvereinbar sind (vgl.
BVerfGE 79, 69 <75>).
Dies schließt die Begründung von Dienstpflichten, die in die
Glaubensfreiheit von Amtsinhabern und Bewerbern um öffentliche Ämter
eingreifen und damit für glaubensgebundene Bewerber den Zugang zum
öffentlichen Dienst erschweren oder ausschließen, nicht aus, unterwirft
sie aber den strengen Rechtfertigungsanforderungen, die für
Einschränkungen der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit
gelten; außerdem ist das Gebot strikter Gleichbehandlung der
verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in
der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten. |
39 |
4. a) Das Tragen eines Kopftuchs durch
die Beschwerdeführerin auch in der Schule fällt unter den Schutz der in
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgten Glaubensfreiheit. Die
Beschwerdeführerin betrachtet nach den von den Fachgerichten getroffenen
und im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde nicht angezweifelten
tatsächlichen Feststellungen das Tragen eines Kopftuchs als für sich
verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgegeben; das Befolgen
dieser Bekleidungsregel ist für sie Ausdruck ihres religiösen
Bekenntnisses. Auf die umstrittene Frage, ob und inwieweit die
Verschleierung für Frauen von Regeln des islamischen Glaubens
vorgeschrieben ist, kommt es nicht an. Zwar kann nicht jegliches
Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als
Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden;
vielmehr darf bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck seiner
Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens das Selbstverständnis der
jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben (vgl.
BVerfGE 24, 236 <247 f.>).
Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs in der
Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinung als
islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art. 4
Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen (vgl. dazu auch
BVerfGE 83, 341 <353>);
dies haben die Fachgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise getan. |
40 |
b) Die Annahme, der Beschwerdeführerin
fehle für die Wahrnehmung der Aufgaben einer Lehrerin an Grund- und
Hauptschulen die erforderliche Eignung, weil sie in Widerspruch zu einer
bestehenden Dienstpflicht in Schule und Unterricht ein Kopftuch tragen
wolle, das ihre Zugehörigkeit zur islamischen Religionsgemeinschaft
deutlich mache, und die darauf gegründete Verweigerung des Zugangs zu
einem öffentlichen Amt wären mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vereinbar, wenn
der beabsichtigten Ausübung der Glaubensfreiheit Rechtsgüter von
Verfassungsrang entgegenstünden und sich diese Begrenzung der freien
Religionsausübung auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage
stützen könnte. Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende
Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag
(Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche
Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der
Schulkinder (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht. |
41 |
aa) Das Grundgesetz begründet für den
Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3
Satz 1, Art. 33 Abs. 3 sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137
Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung
staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung
bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl.
BVerfGE 19, 206 <216>;
24, 236 <246>;
33, 23 <28>;
93, 1 <17>). Der Staat
hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl.
BVerfGE 19, 1 <8>;
19, 206 <216>;
24, 236 <246>;
93, 1 <17>) und darf
sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren
(vgl.
BVerfGE 30, 415 <422>;
93, 1 <17>). Der
freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit
gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und
gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und
der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und
Eigenverantwortung geprägt ist (vgl.
BVerfGE 41, 29 <50>). |
42 |
Die dem Staat gebotene
religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine
distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche,
sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle
Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art. 4 Abs. 1
und 2 GG gebietet auch in positivem Sinn, den Raum für die aktive
Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen
Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl.
BVerfGE 41, 29 <49>;
93, 1 <16>). Der Staat
darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten
politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben
oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen
ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer
bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen
Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl.
BVerfGE 93, 1 <16 f.>).
Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität
dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu
bewerten (vgl.
BVerfGE 33, 23 <29>). |
43 |
Dies gilt nach dem bisherigen
Verständnis des Verhältnisses von Staat und Religion, wie es in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seinen Niederschlag
gefunden hat, insbesondere auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen
Bereich der Pflichtschule, für den seiner Natur nach religiöse und
weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren (vgl.
BVerfGE 41, 29 <49>;
52, 223 <241>). Danach
sind christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht
schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere
weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl.
BVerfGE 41, 29 <51>;
52, 223 <236 f.>). In
dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine
religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl.
BVerfGE 41, 29 <50>).
Für die Spannungen, die bei der gemeinsamen Erziehung von Kindern
unterschiedlicher Weltanschauungs- und Glaubensrichtungen unvermeidlich
sind, muss unter Berücksichtigung des Toleranzgebots als Ausdruck der
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) nach einem Ausgleich gesucht werden
(vgl.
BVerfGE 41, 29 <63>;
52, 223 <247, 251>;
93, 1 <21 ff.>; vgl.
näher unten dd>). |
44 |
bb) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert
den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht
und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur
Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist
es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen
in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für
richtig halten (vgl.
BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>;
52, 223 <236>;
93, 1 <17>). Dem
entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fern zu
halten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl.
BVerfGE 93, 1 <17>).
Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen
Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich
gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG
die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule
einen eigenen Erziehungsauftrag aus (vgl.
BVerfGE 34, 165 <183>;
41, 29 <44>). Wie
dieser im Einzelnen zu erfüllen ist und insbesondere in welchem Umfang
religiöse Bezüge in der Schule ihren Platz haben sollen, unterliegt
innerhalb der vom Grundgesetz, vor allem in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG,
abgesteckten Grenzen der Gestaltungsfreiheit der Länder (vgl.
BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>;
52, 223 <242 f.>; vgl.
näher unten dd>). |
45 |
cc) Schließlich trifft die von der
Beschwerdeführerin in Anspruch genommene Freiheit der Betätigung ihrer
Glaubensüberzeugung durch das Tragen des Kopftuchs in Schule und
Unterricht auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und
Schüler. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die negative wie die positive
Äußerungsform der Glaubensfreiheit gleichermaßen schützt, gewährleistet
auch die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens
fern zu bleiben; das bezieht sich auch auf Kulte und Symbole, in denen
ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art. 4 GG überlässt es dem
Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und
verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die
unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf,
von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen
Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom
Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit
dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser
sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt,
ausgesetzt ist (vgl.
BVerfGE 93, 1 <15 f.>).
Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seine freiheitssichernde
Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen
Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen
worden sind (vgl.
BVerfGE 41, 29 <49>);
dies bekräftigt Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV,
wonach es verboten ist, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu
zwingen. |
46 |
dd) Das Grundgesetz lässt den Ländern
im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit; auch in Bezug auf die
weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen hat Art. 7
GG die weit gehende Selbständigkeit der Länder und im Rahmen von deren
Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im
Auge (vgl.
BVerfGE 41, 29 <44 f.>;
52, 223 <242 f.>). Das
unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit
eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern
sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter
Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen
Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für
alle zumutbaren Kompromiss zu suchen hat. Er muss sich bei seiner
Regelung daran orientieren, dass einerseits im Bereich des Schulwesens
Art. 7 GG weltanschaulich-religiöse Einflüsse unter Wahrung des
Erziehungsrechts der Eltern zulässt und dass andererseits Art. 4 GG
gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform
weltanschaulich-religiöse Zwänge so weit wie irgend möglich
auszuschalten. Die Vorschriften sind zusammen zu sehen, ihre
Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen.
Dies schließt ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen
kommen können, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch
Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und
ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt
werden dürfen (vgl.
BVerfGE 41, 29 <50 f.>;
93, 1 <22 f.>). |
47 |
Diese Grundsätze gelten auch für die
Beantwortung der Frage, in welchem Umfang Lehrern unter Beschränkung
ihres individuellen Grundrechts der Glaubensfreiheit für ihr Auftreten
und Verhalten in der Schule Pflichten in Bezug auf die Wahrung der
weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates auferlegt werden
dürfen. |
48 |
5. Das Einbringen religiöser oder
weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch Lehrkräfte kann
den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das
elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der
Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es eröffnet zumindest die
Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit
Eltern, die zu einer Störung des Schulfriedens führen und die Erfüllung
des Erziehungsauftrags der Schule gefährden können. Auch die religiös
motivierte und als Kundgabe einer Glaubensüberzeugung zu
interpretierende Bekleidung von Lehrern kann diese Wirkungen haben.
Dabei handelt es sich aber lediglich um abstrakte Gefahren. Sollen
bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines
Konflikts aufgrund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst ein
konkretes Verhalten, das sich als Versuch einer Beeinflussung oder gar
Missionierung der anvertrauten Schulkinder darstellt, als Verletzung
beamtenrechtlicher Pflichten oder als die Berufung in das
Beamtenverhältnis hindernder Mangel der Eignung bewertet werden, so
setzt dies, weil damit die Einschränkung des vorbehaltlos gewährten
Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einhergeht, eine hinreichend
bestimmte gesetzliche Grundlage voraus, die dies erlaubt. Daran fehlt es
hier. |
49 |
a) Bei der Beurteilung der Frage, ob
einer bestimmten Bekleidung oder anderen äußeren Zeichen ein religiöser
oder weltanschaulicher Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukommt, ist
die Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ebenso zu berücksichtigen
wie alle dafür in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten. Das Kopftuch
ist - anders als das christliche Kreuz (vgl. dazu
BVerfGE 93, 1 <19 f.>) -
nicht aus sich heraus ein religiöses Symbol. Erst im Zusammenhang mit
der Person, die es trägt, und mit deren sonstigem Verhalten kann es eine
vergleichbare Wirkung entfalten. Das von Musliminnen getragene Kopftuch
wird als Kürzel für höchst unterschiedliche Aussagen und
Wertvorstellungen wahrgenommen: |
50 |
Neben dem Wunsch, als verpflichtend
empfundene, religiös fundierte Bekleidungsregeln einzuhalten, kann es
auch als ein Zeichen für das Festhalten an Traditionen der
Herkunftsgesellschaft gedeutet werden. In jüngster Zeit wird in ihm
verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus
gesehen, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft, wie
individuelle Selbstbestimmung und insbesondere Emanzipation der Frau,
ausdrückt. Nach den auch in der mündlichen Verhandlung bestätigten
tatsächlichen Feststellungen im fachgerichtlichen Verfahren ist das
jedoch nicht die Botschaft, welche die Beschwerdeführerin mit dem Tragen
des Kopftuchs vermitteln will. |
51 |
Die in der mündlichen Verhandlung
gehörte Sachverständige Frau Dr. Karakasoglu hat auf der Grundlage einer
von ihr durchgeführten Befragung von etwa 25 muslimischen
Pädagogikstudentinnen - davon zwölf Kopftuchträgerinnen - dargelegt,
dass das Kopftuch von jungen Frauen auch getragen werde, um in einer
Diasporasituation die eigene Identität zu bewahren und zugleich auf die
Traditionen der Eltern Rücksicht zu nehmen; als Grund für das Tragen des
Kopftuchs sei darüber hinaus der Wunsch genannt worden, durch ein
Zeichen für sexuelle Nichtverfügbarkeit mehr eigenständigen Schutz zu
erlangen und sich selbstbestimmt zu integrieren. Das Tragen des
Kopftuchs solle zwar in der Öffentlichkeit den Stellenwert religiöser
Orientierung im eigenen Lebensentwurf dokumentieren, werde aber als
Ausdruck individueller Entscheidung begriffen und stehe nicht im
Widerspruch zu einer modernen Lebensführung. Die Bewahrung ihrer
Differenz ist nach dem Verständnis der befragten Frauen Voraussetzung
ihrer Integration. Auf der Grundlage der von der Sachverständigen
geführten und ausgewerteten qualitativen Interviews lassen sich zwar
keine repräsentativen Aussagen für alle in Deutschland lebenden
Musliminnen treffen; die Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass
angesichts der Vielfalt der Motive die Deutung des Kopftuchs nicht auf
ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden
darf. Vielmehr kann das Kopftuch für junge muslimische Frauen auch ein
frei gewähltes Mittel sein, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein
selbstbestimmtes Leben zu führen. Auf diesem Hintergrund ist nicht
belegt, dass die Beschwerdeführerin allein dadurch, dass sie ein
Kopftuch trägt, etwa muslimischen Schülerinnen die Entwicklung eines den
Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden Frauenbildes oder
dessen Umsetzung im eigenen Leben erschweren würde. |
52 |
Für die Beurteilung der Frage, ob die
Absicht einer Lehrerin, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen,
einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie ein Kopftuch auf
einen Betrachter wirken kann (objektiver Empfängerhorizont); deshalb
sind alle denkbaren Möglichkeiten, wie das Tragen eines Kopftuchs
verstanden werden kann, bei der Beurteilung zu berücksichtigen. Dies
ändert aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin, die für ihre
Entscheidung, in der Öffentlichkeit stets ein Kopftuch zu tragen, in
plausibler Weise religiös motivierte Gründe angegeben hat, sich für
dieses Verhalten auf den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen kann,
der in enger Beziehung zum obersten Verfassungswert der Menschenwürde
(Art. 1 Abs. 1 GG) steht (vgl.
BVerfGE 52, 223 <247>). |
53 |
b) Im Hinblick auf die Wirkung
religiöser Ausdrucksmittel ist danach zu unterscheiden, ob das in Frage
stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund eigener
Entscheidung von einer einzelnen Lehrkraft verwendet wird, die hierfür
das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch
nehmen kann. Duldet der Staat in der Schule eine Bekleidung von Lehrern,
die diese aufgrund individueller Entscheidung tragen und die als
religiös motiviert zu deuten ist, so kann dies mit einer staatlichen
Anordnung, religiöse Symbole in der Schule anzubringen, nicht
gleichgesetzt werden (zu letzterem vgl.
BVerfGE 93, 1 <18>).
Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse
Aussage einer einzelnen Lehrerin hinnimmt, macht diese Aussage nicht
schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm
beabsichtigt zurechnen lassen. Die Wirkung eines von der Lehrerin aus
religiösen Gründen getragenen Kopftuchs kann allerdings deshalb
besondere Intensität erreichen, weil die Schüler für die gesamte Dauer
des Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens
stehenden Lehrerin ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert sind.
Andererseits kann der religiöse Aussagegehalt eines Kleidungsstücks von
der Lehrkraft den Schulkindern differenzierend erläutert und damit in
seiner Wirkung auch abgeschwächt werden. |
54 |
c) Die Annahme einer
Dienstpflichtverletzung wegen befürchteter bestimmender Einflüsse des
Kopftuchs der Beschwerdeführerin auf die religiöse Orientierung der
Schulkinder kann sich nicht auf gesicherte empirische Grundlagen
stützen. |
55 |
Der in der mündlichen Verhandlung dazu
angehörte Sachverständige Professor Dr. Bliesener hat ausgeführt, dass
es aus entwicklungspsychologischer Sicht derzeit noch keine gesicherten
Erkenntnisse gebe, die eine Beeinflussung von Kindern allein durch die
tägliche Begegnung mit einer Lehrerin belegen könnten, die in Schule und
Unterricht ein Kopftuch trägt. Erst bei Hinzutreten von Konflikten
zwischen Eltern und Lehrern, die im Zusammenhang mit dem Kopftuch der
Lehrerin entstehen können, seien belastende Auswirkungen insbesondere
auf jüngere Schülerinnen und Schüler zu erwarten. Die beiden anderen vom
Senat angehörten Sachverständigen, Frau Psychologiedirektorin Leinenbach
sowie Professor Dr. Riedesser, haben keine hiervon abweichenden
Erkenntnisse vorgetragen. Eine derart ungesicherte Erkenntnislage reicht
als Grundlage einer behördlichen Anwendung des unbestimmten
Rechtsbegriffs der Eignung, die erheblich in das Grundrecht der
Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG eingreift, nicht aus. |
56 |
d) Für die Ablehnung der
Beschwerdeführerin wegen mangelnder Eignung infolge ihrer Weigerung, das
Kopftuch in Schule und Unterricht abzulegen, fehlt es jedenfalls an
einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. |
57 |
Der von der Schulbehörde und den
Fachgerichten angeführte Gesichtspunkt, die Absicht der
Beschwerdeführerin, im Schuldienst ein Kopftuch tragen zu wollen,
begründe deshalb einen Eignungsmangel, weil schon vorbeugend möglichen
Beeinflussungen der Schülerinnen und Schüler entgegengewirkt und nicht
auszuschließende Konflikte zwischen Lehrer und Schülern sowie deren
Eltern von vornherein vermieden werden sollten, rechtfertigt gegenwärtig
den Eingriff in das grundsrechtsgleiche Recht der Beschwerdeführerin aus
Art. 33 Abs. 2 GG und die damit einhergehende Einschränkung ihrer
Glaubensfreiheit nicht. Für eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens
durch das Auftreten der Beschwerdeführerin mit Kopftuch sind im
fachgerichtlichen Verfahren keine greifbaren Anhaltspunkte sichtbar
geworden. Die Befürchtung, dass Konflikte mit Eltern auftreten könnten,
welche die Unterrichtung ihrer Kinder durch eine ein Kopftuch tragende
Lehrerin ablehnen, kann sich nicht auf Erfahrungen mit der bisherigen
Lehrtätigkeit der Beschwerdeführerin als Referendarin stützen. Für ein
mit der Abwehr abstrakter Gefährdungen begründetes Verbot für
Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, reicht die
im Land Baden-Württemberg geltende beamten- und schulrechtliche
Gesetzeslage nicht aus. Die Tatsache allein, dass Konflikte für die
Zukunft nicht auszuschließen sind, rechtfertigt es nicht, ohne eine
darauf zugeschnittene Rechtsgrundlage aus dem allgemeinen
beamtenrechtlichen Erfordernis der Eignung eine Dienstpflicht
abzuleiten, nach der die Beschwerdeführerin in Schule und Unterricht auf
die Betätigung ihrer Glaubensüberzeugung durch das Tragen eines
Kopftuchs zu verzichten hätte. |
58 |
Beamtenrechtlich können nach dem oben
unter B. II. 4. b) aa) dargestellten Verständnis der Pflicht des Staates
zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Schule weder
der in § 11 Abs. 1 LBG enthaltene Begriff der Eignung noch die in
§§ 70 ff. LBG für Beamte statuierten Pflichten, die bei der
Eignungsbeurteilung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt als
Orientierung heranzuziehen sind, als Grundlage für eine Verpflichtung
von Lehrern dienen, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder
Weltanschauung nicht äußerlich erkennbar werden zu lassen, um so
möglichen Gefahren schon vorbeugend zu begegnen. |
59 |
Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 LBG dient der
Beamte dem ganzen Volk und hat nach Satz 2 der Vorschrift seine Aufgaben
unparteiisch und gerecht zu erfüllen sowie bei seiner Amtsführung auf
das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Er muss nach § 70 Abs. 2
LBG sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung des Grundgesetzes bekennen und für deren Einhaltung
eintreten. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin durch
das Tragen eines Kopftuchs hieran gehindert wäre. Auch das
Mäßigungsgebot des § 72 LBG, wonach der Beamte bei politischer
Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren hat, die sich
aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf
die Pflichten seines Amts ergeben, erfasst den Fall des religiös
motivierten Tragens eines Kopftuchs nicht. Das selbe gilt für die
Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen
(§ 73 Satz 1 LBG), sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu
verwalten (§ 73 Satz 2 LBG) und sein Verhalten innerhalb und außerhalb
des Dienstes danach auszurichten, dass es der Achtung und dem Vertrauen
gerecht wird, die sein Beruf erfordern (§ 73 Satz 3 LBG). Aus diesen
allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten lässt sich ein
grundrechtsbeschränkendes Verbot, als Lehrerin an einer öffentlichen
Grund- und Hauptschule aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen,
nicht herleiten. Schließlich besteht für Lehrer keine Regelung über eine
bestimmte Dienstkleidung nach § 94 LBG. |
60 |
Auch die Bestimmungen der Art. 11 bis
22 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 (GBl
S. 173) über Erziehung und Unterricht sowie das Schulgesetz für
Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1. August 1983 (GBl S. 397),
insbesondere dessen §§ 1 und 38, enthalten keine Regelung, aufgrund
derer sich die allgemeinen beamtenrechtlichen Pflichten zu Mäßigung und
Zurückhaltung für Lehrer zweifelsfrei dahin konkretisieren ließen, dass
sie in der Schule keine Kleidung oder sonstige Zeichen tragen dürften,
die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft
erkennen lassen. Damit fehlt es für eine Entscheidung, die Lehrerinnen
islamischen Glaubens wegen ihrer erklärten Absicht, in der Schule ein
Kopftuch zu tragen, die Eignung für den Dienst an Grund- und
Hauptschulen abspricht und sie dadurch in ihrem Grundrecht aus Art. 4
Abs. 1 und 2 GG beschränkt, gegenwärtig an der notwendigen hinreichend
bestimmten gesetzlichen Grundlage. |
61 |
6. Dem zuständigen Landesgesetzgeber
steht es jedoch frei, die bislang fehlende gesetzliche Grundlage zu
schaffen, etwa indem er im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben
das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmt. Dabei
hat er der Glaubensfreiheit der Lehrer wie auch der betroffenen Schüler,
dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der Pflicht des Staates zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität in angemessener Weise Rechnung zu
tragen. |
62 |
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat in
dem angegriffenen Urteil u.a. hervorgehoben, dass das Neutralitätsgebot
mit wachsender kultureller und religiöser Vielfalt - bei einem sich
vergrößernden Anteil bekenntnisloser Schüler - zunehmend an Bedeutung
gewinne und nicht etwa im Hinblick darauf aufzulockern sei, dass die
kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt in Deutschland inzwischen
auch das Leben in der Schule präge. In der mündlichen Verhandlung hat
auch der Vertreter des Oberschulamts Stuttgart, Professor Dr.
F. Kirchhof, ausgeführt, dass die Pflicht des Staates zu
weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Schule angesichts
der gewandelten Verhältnisse nunmehr strenger gehandhabt werden müsse. |
63 |
Der mit zunehmender religiöser
Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann Anlass zu einer
Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule
sein. Aus einer hierauf zielenden Regelung in den Schulgesetzen können
sich dann für Lehrkräfte Konkretisierungen ihrer allgemeinen
beamtenrechtlichen Pflichten auch in Bezug auf ihr äußeres Auftreten
ergeben, soweit dieses ihre Verbundenheit mit bestimmten
Glaubensüberzeugungen oder Weltanschauungen deutlich werden lässt.
Insoweit sind unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch
gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit denkbar. Ist von
vornherein absehbar, dass ein Bewerber solchen Verhaltensregeln nicht
nachkommen wird, kann ihm dies dann als Mangel seiner Eignung entgegen
gehalten werden. |
64 |
Eine Regelung, die Lehrern untersagt,
äußerlich dauernd sichtbar ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Religionsgemeinschaft oder Glaubensrichtung erkennen zu lassen, ist Teil
der Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion im Bereich der
Schule. Die gewachsene religiöse Vielfalt in der Gesellschaft spiegelt
sich hier besonders deutlich wider. Die Schule ist der Ort, an dem
unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinander
treffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher
Weise auswirkt. Ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten könnte
hier am nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden. Dies müsste nicht
die Verleugnung der eigenen Überzeugung bedeuten, sondern böte die
Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zu einer
gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich
versteht (vgl.
BVerfGE 41, 29 <64>).
Es ließen sich deshalb Gründe dafür anführen, die zunehmende religiöse
Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von
gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um
Integration zu leisten. Andererseits ist die beschriebene Entwicklung
auch mit einem größeren Potenzial möglicher Konflikte in der Schule
verbunden. Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen
Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als
bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das
äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von
den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern,
Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden. |
65 |
b) Wie auf die gewandelten
Verhältnisse zu antworten ist, insbesondere, welche Verhaltensregeln in
Bezug auf Kleidung und sonstiges Auftreten gegenüber den Schulkindern
für Lehrerinnen und Lehrer zur näheren Konkretisierung ihrer allgemeinen
beamtenrechtlichen Pflichten und zur Wahrung des religiösen Friedens in
der Schule aufgestellt werden sollen und welche Anforderungen demgemäß
zur Eignung für ein Lehramt gehören, hat nicht die Exekutive zu
entscheiden. Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung durch den
demokratisch legitimierten Landesgesetzgeber. Für die Beurteilung der
tatsächlichen Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige
Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern oder andere Werte von
Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Lehrkräfte aller
Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von
Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichten, verfügt nur der
Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative, die Behörden und
Gerichte nicht für sich in Anspruch nehmen können (vgl.
BVerfGE 50, 290 <332 f.>;
99, 367 <389 f.>). Die
Annahme, dass ein Verbot des Kopftuchtragens in öffentlichen Schulen als
Element einer gesetzgeberischen Entscheidung über das Verhältnis von
Staat und Religion im Schulwesen eine zulässige Einschränkung der
Religionsfreiheit darstellen kann, steht auch im Einklang mit Art. 9 der
Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte, Entscheidung vom 15. Februar 2001, NJW 2001,
S. 2871 ff.). |
66 |
aa) Die verfassungsrechtliche
Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung folgt aus dem Grundsatz des
Parlamentsvorbehalts. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot
verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung
maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl.
BVerfGE 49, 89 <126>;
61, 260 <275>;
83, 130 <142>). Wie
weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen
Leitlinien selbst bestimmen muss, richtet sich nach dessen
Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander
konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinander treffen und
deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies
gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte - wie hier die
positive und negative Glaubensfreiheit sowie das elterliche
Erziehungsrecht - nach dem Wortlaut der Verfassung ohne
Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen
Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre
verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Hier
ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden
Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie eine
solche Festlegung für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich ist
(vgl.
BVerfGE 83, 130 <142>). |
67 |
Wann es einer Regelung durch den
parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den
jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen
Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen
Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes,
insbesondere den dort verbürgten Grundrechten zu entnehmen (vgl.
BVerfGE 98, 218 <251>).
Zwar führt allein der Umstand, dass eine Regelung politisch umstritten
ist, nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste
(vgl.
BVerfGE 98, 218 <251>).
Nach der Verfassung sind die Einschränkung von grundrechtlichen
Freiheiten und der Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten aber
dem Parlament vorbehalten, um sicherzustellen, dass Entscheidungen von
solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der
Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu
vertreten, und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß
von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären (vgl.
BVerfGE 85, 386 <403 f.>). |
68 |
Insbesondere im Schulwesen
verpflichten Rechtsstaatsgebot und Demokratieprinzip des Grundgesetzes
den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und
nicht der Schulverwaltung zu überlassen (vgl.
BVerfGE 40, 237 <249>;
58, 257 <268 f.>). Das
gilt auch und gerade dann, wenn und soweit auf gewandelte
gesellschaftliche Verhältnisse und zunehmende weltanschaulich-religiöse
Vielfalt in der Schule mit einer strikteren Zurückdrängung jeglicher
religiöser Bezüge geantwortet und damit die staatliche
Neutralitätspflicht innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen
neu abgesteckt werden soll. Eine solche Entscheidung hat erhebliche
Bedeutung für die Verwirklichung von Grundrechten im Verhältnis zwischen
Lehrern, Eltern und Kindern sowie dem Staat. |
69 |
bb) Eine Regelung, nach der es zu den
Dienstpflichten einer Lehrerin gehört, im Unterricht auf das Tragen
eines Kopftuchs oder anderer Erkennungsmerkmale der religiösen
Überzeugung zu verzichten, ist eine im Sinne der Rechtsprechung zum
Parlamentsvorbehalt wesentliche. Sie greift in erheblichem Maße in die
Glaubensfreiheit der Betroffenen ein. Sie betrifft außerdem Menschen
verschiedener Religionszugehörigkeit unterschiedlich intensiv, je
nachdem, ob sie die Befolgung bestimmter Bekleidungssitten als zur
Ausübung ihrer Religion gehörig ansehen oder nicht. Dementsprechend hat
sie besondere Ausschlusswirkungen für bestimmte Gruppen. Wegen dieses
Gruppenbezuges kommt der Begründung einer solchen Dienstpflicht für
Lehrkräfte über ihre Bedeutung für die individuelle Grundrechtsausübung
hinaus auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Ordnungsfunktion der
Glaubensfreiheit wesentliche Bedeutung zu. |
70 |
Schließlich bedarf die Einführung
einer Dienstpflicht, die es Lehrern verbietet, in ihrem äußeren
Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, auch
deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, weil eine solche
Dienstpflicht in verfassungsmäßiger - unter anderem mit Art. 33 Abs. 3
GG vereinbarer - Weise nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn
Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich
behandelt werden. Dies ist nicht in gleichem Maße gewährleistet, wenn es
den Behörden und Gerichten überlassen bleibt, über das Bestehen und die
Reichweite einer solchen Dienstpflicht von Fall zu Fall nach Maßgabe
ihrer Prognosen über das Einfluss- und Konfliktpotenzial von
Erkennungsmerkmalen der Religionszugehörigkeit im Erscheinungsbild der
jeweiligen Lehrkraft zu entscheiden. |
71 |
Solange keine gesetzliche Grundlage
besteht, aus der sich mit hinreichender Bestimmtheit ablesen lässt, dass
für Lehrer an Grund- und Hauptschulen eine Dienstpflicht besteht, auf
Erkennungsmerkmale ihrer Religionszugehörigkeit in Schule und Unterricht
zu verzichten, ist auf der Grundlage des geltenden Rechts die Annahme
fehlender Eignung der Beschwerdeführerin mit Art. 33 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 33 Abs. 3 GG nicht
vereinbar. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Entscheidungen verletzen deshalb die in diesen Vorschriften
gewährleistete Rechtsposition der Beschwerdeführerin. Das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache an das
Bundesverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Es ist
zu erwarten, dass das Verfahren dort auf der Grundlage des gemäß § 127
Nr. 2 BRRG revisiblen § 11 Abs. 1 LBG zum Abschluss gebracht werden
kann; der maßgebliche Begriff der Eignung ist dabei entsprechend den
- gegebenenfalls veränderten - Vorgaben im Schulrecht des Landes
auszulegen und anzuwenden. |
72 |
Die Entscheidung über die Erstattung
der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. |
73 |
Diese Entscheidung ist mit fünf gegen
drei Stimmen ergangen. |
74 |
Hassemer |
Sommer |
Jentsch |
Broß |
Osterloh |
Di Fabio |
Mellinghoff |
|
Lübbe-Wolff |
|
|
Abweichende Meinung
der Richter Jentsch, Di Fabio und
Mellinghoff
zum Urteil des Zweiten Senats vom 24.
September 2003
- 2 BvR 1436/02 - |
|
Die Senatsmehrheit nimmt an, bestimmte
Dienstpflichten eines Beamten dürften nur durch parlamentarisches Gesetz
begründet werden, wenn sie in Zusammenhang mit dessen Religions- oder
Weltanschauungsfreiheit stehen. Dies wurde bislang weder in
Rechtsprechung und Literatur noch von der Beschwerdeführerin selbst
vertreten. Mit dieser Auffassung bleibt nicht nur die dem Gericht
unterbreitete grundsätzliche Verfassungsfrage nach der staatlichen
Neutralität im Bildungs- und Erziehungsraum der Schule unentschieden,
sie führt auch zu einer im Grundgesetz nicht angelegten Fehlgewichtung
im System der Gewaltenteilung sowie im Verständnis der Geltungskraft der
Grundrechte beim Zugang zu öffentlichen Ämtern. Die Entscheidung geht
über den ausdrücklich bekundeten Willen des baden-württembergischen
Landtages hinweg, aus Anlass des Falles der Beschwerdeführerin kein
formelles Gesetz zu erlassen; sie lässt zudem die Volksvertretung im
Unklaren darüber, wie eine verfassungsgemäße Regelung getroffen werden
kann. Schließlich gibt die Senatsmehrheit dem Landesgesetzgeber keine
Möglichkeit, sich auf die von ihr angenommene neue Verfassungsrechtslage
einzustellen und versäumt es, Rechtsprechung und Verwaltung zu sagen,
wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzes verfahren sollen. |
75 |
Die Senatsmehrheit nimmt zu Unrecht
einen schwerwiegenden Eingriff in die Religions- und
Weltanschauungsfreiheit der Beschwerdeführerin an, um einen
Gesetzesvorbehalt zu rechtfertigen. Damit verkennt sie die funktionelle
Begrenzung des Grundrechtsschutzes für Beamte. Im Fall des Zugangs zu
einem öffentlichen Amt gibt es keine offene Abwägungssituation
gleichwertiger Rechtsgüter; das für die Grundrechtsverwirklichung
wesentliche Rechtsverhältnis in der Schule wird in erster Linie durch
den Grundrechtsschutz von Schülern und Eltern geprägt. |
76 |
1. Wer Beamter wird, stellt sich in
freier Willensentschließung auf die Seite des Staates. Der Beamte kann
sich deshalb nicht in gleicher Weise auf die freiheitssichernde Wirkung
der Grundrechte berufen wie jemand, der nicht in die Staatsorganisation
eingegliedert ist. In Ausübung seines öffentlichen Amtes kommt ihm
deshalb das durch die Grundrechte verbürgte Freiheitsversprechen gegen
den Staat nur insoweit zu, als sich aus dem besonderen
Funktionsvorbehalt des öffentlichen Dienstes keine Einschränkungen
ergeben. Der beamtete Lehrer unterrichtet auch im Rahmen seiner
persönlichen pädagogischen Verantwortung nicht in Wahrnehmung eigener
Freiheit, sondern im Auftrag der Allgemeinheit und in Verantwortung des
Staates. Beamtete Lehrer genießen deshalb bereits vom Ansatz her nicht
denselben Grundrechtsschutz wie Eltern und Schüler: Die Lehrer sind
vielmehr an Grundrechte gebunden, weil sie teilhaben an der Ausübung
öffentlicher Gewalt. |
77 |
Mit der Formulierung von
Dienstpflichten für die Beamten genügt die staatliche Verwaltung auch
ihrer Bindung aus Art. 1 Abs. 3 GG; die Dienstpflicht des Beamten ist
die Kehrseite der Freiheit desjenigen Bürgers, dem die öffentliche
Gewalt in der Person des Beamten gegenübertritt. Werden dem Lehrer
Dienstpflichten für die Ausübung seines Amts auferlegt, geht es daher
nicht um Eingriffe in die staatsfreie Gesellschaft und die dadurch
begründete Forderung nach dem parlamentarischen Gesetz zum Schutz des
Bürgers. Mit Dienstpflichten sichert der Staat in seiner Binnensphäre
die gleichmäßige, gesetzes- und verfassungstreue Verwaltung. |
78 |
Die Senatsmehrheit hat diesen
Strukturunterschied nicht ausreichend berücksichtigt. Dadurch wird die
grundrechtlich unterschiedliche Lage des Lehrers einerseits sowie der
Schüler und Eltern andererseits nicht zutreffend erfasst. Insbesondere
die Rechtsstellung des Bewerbers, dem es an einem Rechtsanspruch auf den
begehrten Eintritt in die Organisationswelt des Staates fehlt, darf
nicht aus der Abwehrperspektive eines Grundrechtsträgers gegen den Staat
gesehen werden. Der freiwillige Eintritt in das Beamtenverhältnis ist
eine vom Bewerber in Freiheit getroffene Entscheidung für die Bindung an
das Gemeinwohl und die Treue zu einem Dienstherren, der in der
Demokratie für das Volk und kontrolliert durch das Volk handelt. Wer
Beamter werden will, darf deshalb das Gebot der Mäßigung und der
beruflichen Neutralität nicht ablehnen, weder generell noch in Bezug auf
bestimmte, vorweg erkennbare dienstliche
oder außerdienstliche Konstellationen. Mit diesen Pflichten ist
jedenfalls nicht zu vereinbaren, dass der Beamte den Dienst im
Innenverhältnis prononciert als Aktionsraum für Bekenntnisse, gleichsam
als Bühne grundrechtlicher Entfaltung nutzt. Die ihm übertragene Aufgabe
besteht darin, dem demokratischen Willen, d.h. dem Gesetzeswillen und
dem der verantwortlichen Regierung fachlich, sachlich, nüchtern und
neutral zur Wirksamkeit zu verhelfen und als Individuum dort
zurückzustehen, wo seine Ansprüche auf Verwirklichung der Persönlichkeit
geeignet sein können, Konflikte im Dienstverhältnis und damit
Hindernisse für die Verwirklichung demokratisch gebildeten Willens zu
erzeugen. |
79 |
2. Beamte unterscheiden sich
grundsätzlich von denjenigen Bürgern, die durch Maßnahmen der
öffentlichen Gewalt einem Sonderstatusverhältnis unterworfen werden,
dabei aber nicht etwa in die Sphäre des Staates wechseln, sondern nur in
eine rechtliche Sonderbeziehung treten, wie Schüler und deren
erziehungsberechtigte Eltern in der staatlichen Pflichtschule (BVerfGE
34, 165 <192 f.>;
41, 251 <259 f.>;
45, 400 <417 f.>;
47, 46 <78 ff.>) oder
Strafgefangene im Vollzug (BVerfGE 33, 1 <11>).
Es ist deshalb ein Irrtum zu glauben, mit der Betonung grundrechtlicher
Positionen im innerdienstlichen Bereich könne ein weiteres Mal - nach
dem Kampf gegen das Institut des besonderen Gewaltverhältnisses - eine
Schlacht für die Freiheitsidee des Grundgesetzes geschlagen werden. Das
Gegenteil ist der Fall. Wer den grundrechtsverpflichteten Lehrer primär
als Grundrechtsträger begreift und seine Freiheitsansprüche damit gegen
Schüler und Eltern richtet, verkürzt die Freiheit derer, um derentwillen
mit der Wesentlichkeitstheorie der Gesetzesvorbehalt im Schulrecht
ausgedehnt wurde. |
80 |
Das Verhältnis des Beamten zum Staat
ist eine besondere Nähebeziehung, die von der Verfassung anerkannte und
als bewahrenswert angesehene Sachgesetzlichkeiten aufweist. Beamte
sollen nach der ausgewogenen Konzeption des Grundgesetzes durchaus
freiheitsbewusste Staatsbürger sein - anders wäre die Treue zur
freiheitlichen Verfassung nur ein Lippenbekenntnis -, sie sollen
zugleich aber den grundsätzlichen Vorrang der Dienstpflichten und den
darin verkörperten Willen der demokratischen Organe achten. Der Beamte
ist als Persönlichkeit kein bloßes "Vollzugsinstrument", auch wenn er
sich zum Dienst am Gemeinwohl entschließt. Wer Beamter werden will, muss
sich jedoch mit dem Verfassungsstaat in wichtigen Grundsatzfragen und
bei der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben loyal identifizieren,
weil umgekehrt auch der Staat durch seinen öffentlichen Dienst
repräsentiert und deshalb mit dem konkreten Bediensteten identifiziert
wird. Von dieser Idee der Gegenseitigkeit und der Nähe sind alle
Grundsätze des Berufsbeamtentums beherrscht. |
81 |
Grundrechtliche Freiheitsansprüche
eines Beamten oder des Bewerbers um ein öffentliches Amt sind deshalb
von vornherein nur insoweit gewährleistet, als sie mit diesen
Sachgesetzlichkeiten vereinbar sind. Sie fügen sich in diese
Notwendigkeiten des öffentlichen Amts ein, wenn keine Hindernisse für
den Dienstbetrieb befürchtet werden müssen. Alles andere als ein solcher
Funktionsvorbehalt für Grundrechtsansprüche der Beamten im Dienst wäre
mit der Konkordanz der Verfassung nicht zu vereinbaren. Andernfalls
würde die Verfassungsinterpretation einen Widerspruch eröffnen, der im
Grundgesetz selbst nicht angelegt ist. Die Grundrechte mit ihrer
Bestimmung, Distanz zwischen politischer Herrschaft und staatsfreier
Gesellschaft zu gewährleisten, sollen sich nicht gerade dort entfalten,
wo die Verfassung ein besonderes Näheverhältnis will und deshalb
wechselseitige Distanzierung grundsätzlich ausschließt. |
82 |
Die Grundrechte wahren Distanz
zwischen Bürger und Staatsgewalt gerade um der Begrenzung staatlicher
Herrschaft willen (Loschelder, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch
des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., 2000, § 123, Rn. 16; Di Fabio,
VVDStRL 56, S. 235 <253 f.>). Diese vornehmste Funktion der Grundrechte
darf sich aber nicht dort uneingeschränkt entfalten, wo die Distanz
gerade durch die Staatseingliederung aufgehoben werden soll und deshalb
von der Verfassung der Abstand nicht gewollt ist. Im Rahmen einer von
der Verfassung institutionell gewollten Nähebeziehung kann sich daher
die ursprünglichste Grundrechtsfunktion nicht Geltung verschaffen, ohne
die Nähebeziehung und die Verfassungsentscheidung für einen demokratisch
dirigierten öffentlichen Dienst in Frage zu stellen. |
83 |
3. Die Eignungsbeurteilung im Rahmen
des speziellen Gleichheitsrechts aus Art. 33 Abs. 2 GG darf nicht mit
einem Eingriff in die Freiheitssphäre des Art. 4 Abs. 1 GG verwechselt
werden. |
84 |
Voraussetzung und gleichsam Normalfall
klassischer Freiheitsrechte ist ein Eindringen der öffentlichen Gewalt
in die Sphäre des Bürgers. Davon weichen diejenigen Konstellationen ab,
in denen der Bürger auf den Staat zugeht, von der Allgemeinheit
Leistungen einfordert oder ihr seine Dienste anbietet. Nicht die
öffentliche Gewalt dringt hier in die Gesellschaft ein, sondern
Grundrechtsträger suchen die Nähe zur staatlichen Organisation,
erstreben deren Handeln, suchen eine Rechtsbeziehung. |
85 |
Die Verfassungsbeschwerde rügt die
Verletzung von Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 3 GG und
beruft sich mithin auf ein spezielles Gleichheitsrecht. Für isoliert
geltend gemachte oder mit einem Leistungsanspruch verbundene
Gleichheitsrechte kann aber der Gesetzesvorbehalt nicht eingreifen. Der
Gleichheitsverstoß führt nicht zu einem Eingriff in ein Freiheitsrecht,
der den Gesetzesvorbehalt auslösen könnte. Die Eingriffskonstellation
verläuft anders: Die Ernennung eines Lehrers, der in seiner Person keine
Gewähr für eine neutrale Amtsführung im Unterricht bietet,
beeinträchtigt mittelbar Grundrechte der Schüler und ihrer Eltern;
insofern könnte allenfalls über die Erforderlichkeit eines Gesetzes im
Hinblick auf den Freiheitsschutz der Schüler und Eltern diskutiert
werden. |
86 |
Verbietet der Staat jemandem das
zumindest auch religiös motivierte Tragen des Kopftuches auf einem
öffentlichen Platz, greift er zweifellos in das Grundrecht der
Religionsfreiheit ein. Möchte der Beamte dagegen in einem bereits von
der Verfassung als neutral bestimmten Bereich - hier im Unterricht einer
staatlichen Pflichtschule - und als Repräsentant der Allgemeinheit
religiös begriffene Zeichen setzen, so übt er nicht eine ihm als
Individuum zustehende Freiheit im gesellschaftlichen Raum aus. Die
Freiheitsentfaltung des Beamten im Dienst ist von vornherein durch die
Sachnotwendigkeiten und vor allem die verfassungsrechtliche
Ausgestaltung des Amtes begrenzt - anders würde die Verwirklichung des
Volkswillens an einem Übermaß an Freiheitsansprüchen der Repräsentanten
des Staates scheitern. Bei der Wahrnehmung des Schuldienstes hat der
Lehrer die Grundrechte der Schüler und ihrer Eltern zu achten, er steht
nicht nur auf der Seite des Staates, der Staat handelt durch ihn. Wer
den Beamten, abgesehen von Statusfragen, als uneingeschränkt
grundrechtsberechtigt gegenüber seinem Dienstherren sieht, löst die um
der Freiheit von Kindern und Eltern willen gezogene Grenze zwischen
Staat und Gesellschaft auf. Er nimmt damit in Kauf, dass die
Durchsetzung demokratischer Willensbildung erschwert wird und ebnet
stattdessen einer schwer kontrollierbaren juristischen Abwägung zwischen
Grundrechtspositionen von Lehrern, Eltern und Schülern den Weg. |
87 |
4. Eines Gesetzes bedarf es
schließlich auch nicht deshalb, weil die Eignungsbeurteilung eines
Beamten mittelbare Wirkungen in einem für die Grundrechte wesentlichen
Rechtsverhältnis entfaltet. Zwar ist die Geltung des Gesetzesvorbehalts
im Schulrecht in der Vergangenheit um der Eltern und Schüler willen
ausgeweitet worden, nicht jedoch zum Schutze der beamteten Lehrer. Das
Beamtenverhältnis als eine besondere Nähebeziehung zwischen Bürger und
Staat wurde im Gegensatz zum Schulrecht mit seinem nach außen
gerichteten und in das Elternrecht einwirkenden Leistungscharakter
gerade nicht als Rechtsbeziehung verstanden, die vom Grundrechtsanspruch
des Beamten geprägt wird (vgl. Oppermann, Verhandlungen des 51.
Deutschen Juristentages, 1976, Band I, Teil C Gutachten, Nach welchen
rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung
der an ihm Beteiligten zu ordnen?, C 46 f.). |
88 |
Unter dem Gesichtspunkt der
Wesentlichkeit könnte daher lediglich von Bedeutung sein, wenn ein Land
die Verwendung des Kopftuchs oder anderer konfliktgeeigneter religiöser
oder weltanschaulicher Symbole im Unterricht zulassen würde. Denn dann
wäre auch ohne den bereits konkret geltend gemachten Grundrechtseingriff
in Schüler- und Elternrechte eine grundrechtliche Gefahrenlage
entstanden, die der gesetzlichen Regelung bedürfte. Eine Ausdehnung des
Gesetzesvorbehalts unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeit auf
Freiheitsansprüche des Lehrers bei der Ausübung seiner dienstlichen
Tätigkeit dagegen ist bislang noch nicht vertreten worden. |
89 |
Die Neutralitätspflicht des Beamten
ergibt sich aus der Verfassung selbst, sie bedarf keiner zusätzlichen
landesgesetzlichen Grundlegung. Der Beamte, der keine Gewähr für eine in
seinem Gesamtverhalten neutrale, den jeweiligen dienstlichen
Anforderungen angemessene Amtsführung bietet, ist ungeeignet im Sinne
des Art. 33 Abs. 2 GG (vgl.
BVerfGE 92, 140 <151>;
96, 189 <197>). |
90 |
Die Begründung der Senatsmehrheit
schiebt den grundrechtlichen Freiheitsanspruch weit in das öffentliche
Dienstrecht, ohne die vom Grundgesetz in Art. 33 GG getroffene
Strukturentscheidung angemessen zu gewichten. Sie ist deshalb mit
grundlegenden Aussagen der Verfassung zum Verhältnis von Gesellschaft
und Staat nicht in Einklang zu bringen. Verkannt wird insbesondere die
Stellung des öffentlichen Dienstes bei der Verwirklichung des
demokratischen Willens. |
91 |
1. Wer ein öffentliches Amt erstrebt,
sucht im status activus die Nähe zur öffentlichen Gewalt und begehrt
- wie die Beschwerdeführerin - die Begründung eines besonderen Dienst-
und Treueverhältnisses zum Staat. Diese besondere, durch Art. 33 Abs. 5
GG verfassungsrechtlich abgesicherte Pflichtenstellung überlagert den
grundsätzlich auch für Beamte geltenden Schutz der Grundrechte (vgl.
BVerfGE 39, 334 <366 f.>),
soweit Aufgabe und Zweck des öffentlichen Amts dies erfordern.
Dementsprechend gewährt auch der aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende
staatsbürgerliche Anspruch gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nur,
wenn der Bewerber die Tatbestandsvoraussetzungen des grundrechtsgleichen
Rechts - Eignung, Befähigung, fachliche Leistung - erfüllt. Der
Dienstherr ist befugt und von Verfassungs wegen verpflichtet, die
Eignung eines Bewerbers für ein öffentliches Amt festzustellen (Art. 33
Abs. 2 GG). |
92 |
Die im Rahmen der
Ermessensentscheidung vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung
und fachlicher Leistung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der vom
Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen ist, ob die Verwaltung der
Beurteilung einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt und ob sie
den beamtenrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem sie
sich frei bewegen kann, verkannt hat. Im Übrigen ist die Nachprüfung, da
es keinen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis gibt, auf die
Willkürkontrolle beschränkt (vgl.
BVerfGE 39, 334 <354>).
Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Eignung erfordert eine
Prognoseentscheidung, wobei der Dienstherr die Gesamtheit der
Eigenschaften, die das jeweilige Amt von seinem Inhaber fordert,
umfassend zu bewerten hat (vgl.
BVerfGE 4, 294 <296 f.>;
BVerwGE 11, 139 <141>). |
93 |
Hierbei hat der Dienstherr auch zu
prognostizieren, ob der Bewerber zukünftig seine Dienstpflichten in dem
angestrebten Amt erfüllen wird. Zur Eignung zählt nicht nur die Gewähr,
dass der Beamte den fachlichen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch,
dass er in seiner Person die grundlegenden Voraussetzungen erfüllt, die
für die Wahrnehmung eines übertragenen öffentlichen Amtes unabdingbar
sind. Zu diesen Voraussetzungen, die Art. 33 Abs. 5 GG mit
Verfassungsrang schützt, rechnet die Gewähr für eine neutrale
Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben des Beamten. Welches Maß an
Zurückhaltung und Neutralität vom Beamten im Einzelfall verlangt werden
darf, bestimmt sich nicht nur aus allgemeinen Grundsätzen, sondern auch
aus den konkreten Anforderungen des Amtes. |
94 |
2. Der vom Grundgesetz verfasste Staat
braucht den öffentlichen Dienst, damit der Wille des Volkes praktisch
wirksam werden kann. Der öffentliche Dienst verwirklicht die
Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers und der
verantwortlichen Regierung; er konkretisiert das Demokratie- und
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Die Konzeption der Verfassung
zielt auf eine demokratische Herrschaft in Rechtsform. Sowohl das
parlamentarische Gesetz als auch die politische Leitung der Regierung
bedürfen deshalb des sachkundigen, neutralen öffentlichen Dienstes (vgl.
BVerfGE 7, 155 <163>).
Gesetz und Recht sind Formversprechen für den der öffentlichen Gewalt
unterworfenen Bürger, mit dem ein Sachverhalt ohne Ansehen der Person
abstrakt-generell geregelt wird. Dem entspricht es, dass auch der
öffentliche Bedienstete, der zur Umsetzung des Gesetzes und zur
rechtsförmlichen Verwirklichung des politischen Willens der Regierung
berufen ist, dem Bürger als neutraler Sachwalter gegenüber tritt. |
95 |
Die Entscheidung für den Rechtsstaat
verlangt den gesetzesgebundenen Beamten als Gegengewicht zur politischen
Führung der Regierung. Er verwirklicht den demokratischen Willen. Nach
der Konzeption des Grundgesetzes werden hoheitliche Aufgaben in der
Regel auf Beamte übertragen (Art. 33 Abs. 4 GG). Das Berufsbeamtentum
soll, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale
Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen
ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden
politischen Kräften bilden (vgl.
BVerfGE 7, 155 <162>;
11, 203 <216 f.>). Der
Beamte hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen, bei
seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen,
loyal zum Staat zu stehen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes
so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die
sein Beruf erfordert (vgl. § 35 Abs. 1 BRRG; § 73 Landesbeamtengesetz
Baden-Württemberg - LBG -). Sein dienstliches Verhalten muss sich allein
an Sachrichtigkeit, Rechtstreue, Gerechtigkeit, Objektivität und dem
Allgemeinwohl orientieren. Diese Verpflichtungen bilden eine wesentliche
Grundlage für das Vertrauen der Bürger in die Erfüllung der Aufgaben des
demokratischen Rechtsstaats. |
96 |
3. Das hieraus folgende Neutralitäts-
und Mäßigungsgebot der Beamten gehört zu den hergebrachten Grundsätzen
des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG); es hat in den §§ 35 Abs. 1
und 2, 36 BRRG und den Beamtengesetzen der Länder (vgl. § 72 LBG) seine
einfachgesetzliche Ausprägung erfahren (vgl.
BVerfGE 7, 155 <162>;
Battis in: Sachs, GG 3. Aufl., 2003, Art. 33, Rn. 71; Lübbe-Wolff in:
Dreier, GG, Band II, 1998, Art. 33, Rn. 78). Diese korrespondiert mit
der grundsätzlichen Neutralitätspflicht des Staates auch für den
religiösen und weltanschaulichen Bereich, die gerade aus der
Glaubensfreiheit des Art. 4 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3, Art. 33
Abs. 3 GG sowie aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, 4 und
Art. 137 Abs. 1 WRV abzuleiten ist (vgl.
BVerfGE 19, 206 <216>;
93, 1 <16 f.>;
105, 279 <294>).
Insoweit begründen die Grundsätze des Berufsbeamtentums aus Art. 33
Abs. 5 GG einen verfassungsunmittelbaren Vorbehalt, der den Raum für
eine Grundrechtsausübung des Beamten von vornherein begrenzt: zum Schutz
der Grundrechte derjenigen, die nicht in die staatliche Organisation
eingegliedert sind. |
97 |
Die bisherige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hat unmittelbar aus Art. 33 Abs. 5 GG Rechte
und Pflichten des Beamten entnommen. Einfachgesetzliche Regelungen der
Rechte und Pflichten des Beamten sind dabei möglich und in gewissem Maße
sinnvoll, verfassungsrechtlich aber nicht gefordert (BVerfGE
43, 154 <169 f.>). Zu den unmittelbar aus
Art. 33 Abs. 5 GG begründeten Pflichten des Beamten gehört die Mäßigung
und Zurückhaltung, insbesondere bei der Wahrnehmung seiner
Dienstgeschäfte. Verhält sich der Beamte im Dienst politisch,
weltanschaulich oder religiös nicht neutral, so verstößt er gegen die
ihm obliegenden Dienstpflichten, wenn sein Verhalten objektiv geeignet
ist, zu Konflikten oder Behinderungen bei der Wahrnehmung öffentlicher
Aufgaben zu führen (vgl.
BVerfGE 39, 334 <347>).
Er muss gerade auch in religiösen und weltanschaulichen Angelegenheiten
zurückhaltend sein, weil dies dem Staat, für den er handelt, um der
Freiheit der Bürger willen abverlangt wird. |
98 |
Der Staat und seine Organe sind nach
Art. 4 Abs. 1 GG sowie aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 und
Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV
verpflichtet, sich in Fragen des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses neutral zu verhalten und nicht den religiösen Frieden in
der Gesellschaft zu gefährden (BVerfGE 105, 279
<294>). Auch deshalb muss der Beamte bereits
beim Zugang zum öffentlichen Dienst von Verfassungs wegen die
persönliche Gewähr für ein neutrales, nicht provozierendes oder
herausforderndes Verhalten im Rahmen der künftigen Amtsführung bieten
(Art. 33 Abs. 5 GG). |
99 |
4. Welches Maß an Zurückhaltung und
Neutralität vom Beamten im Einzelfall verlangt werden darf, bestimmt
sich nicht nur aus diesen allgemeinen Grundsätzen, sondern auch aus den
konkreten und wechselnden Anforderungen des Amtes. Auch diese
Anforderungen müssen nicht als Dienstpflichten vom Gesetz gesondert
bestimmt werden, weil es gerade zum Kennzeichen des Berufsbeamtentums
gehört, dass Dienstpflichten nicht als Freiheitsbeschränkungen des
Beamten verstanden, sondern vom Dienstherren nach den jeweiligen
Bedürfnissen einer rechtsstaatlichen und sachlich wirksamen Verwaltung
festgelegt werden. Der Maßstab für die Eignungsbeurteilung ist für die
Behörde auch insoweit in ihren wesentlichen Linien durch Art. 33 Abs. 5
GG hinsichtlich des Grundsatzes der Neutralität und der Mäßigung
vorgezeichnet. Diese von Verfassungs wegen unmittelbar geltenden
Prinzipien bedürfen auch im Schulverhältnis keiner weiteren gesetzlichen
Konkretisierung. Die einfachgesetzlichen Gebote zur politischen
Mäßigungspflicht des Beamten sind insofern deklaratorisch und nicht
konstitutiv für die Eignungsbeurteilung beim Zugang zu öffentlichen
Ämtern im Sinne der Art. 33 Abs. 2, Art. 33 Abs. 5 GG. |
100 |
Die allgemeine Neutralitätspflicht
gilt in besonderem Maße für Beamte, die das Amt des Lehrers an
öffentlichen Schulen ausüben. Lehrer erfüllen den Bildungs- und
Erziehungsauftrag des Staates (Art. 7 Abs. 1 GG). Sie haben dabei die
unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die
Erziehung der Schüler. Auf Grund ihrer Funktion werden sie in die Lage
versetzt, in einer den Eltern vergleichbaren Weise Einfluss auf die
Entwicklung der anvertrauten Schüler zu nehmen. Damit verbunden ist eine
Einschränkung des grundrechtlich garantierten Erziehungsrechts der
Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), die nur hingenommen werden kann, wenn
sich die Schule um größtmögliche Objektivität und Neutralität nicht nur
im politischen, sondern auch im religiösen und weltanschaulichen Bereich
bemüht. Dies gilt auch deshalb, weil den Eltern nach Art. 6 Abs. 2
Satz 1 GG das Recht zur Kindererziehung auch in religiöser und
weltanschaulicher Hinsicht zusteht und diese für falsch empfundene
Glaubensüberzeugungen grundsätzlich von ihren Kindern fern halten können
(vgl.
BVerfGE 41, 29 <48>;
41, 88 <107>). Die
Beachtung dieser Rechte gehört zu den wesentlichen bereits vom
Grundgesetz geforderten Aufgaben der Schule; sie bestimmen zugleich
spiegelbildlich die von den Lehrern zu beachtenden Dienstpflichten. |
101 |
Eine Lehrerin an einer Grund- oder
Hauptschule verstößt gegen Dienstpflichten, wenn sie im Unterricht mit
ihrer Kleidung Symbole verwendet, die objektiv geeignet sind,
Hindernisse im Schulbetrieb oder gar grundrechtlich bedeutsame Konflikte
im Schulverhältnis hervorzurufen. Das von der Beschwerdeführerin
begehrte kompromisslose Tragen des Kopftuchs im Schulunterricht ist mit
dem Mäßigungs- und Neutralitätsgebot eines Beamten nicht zu vereinbaren. |
102 |
1. Grundrechte sind bei der Ausübung
eines öffentlichen Amtes auch für den modernen, aufgeschlossenen und
couragierten Staatsdiener nur insoweit von der Verfassung gewährleistet,
als kein prägnanter Widerspruch zur politischen Willensbildung des
Dienstherren und kein Funktionshindernis bei der Ausübung des
übertragenen öffentlichen Amtes zu besorgen ist. Mit der Annahme, erst
das Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte einer "konkreten Gefährdung des
Schulfriedens" reiche aus, um die Eignung eines Beamtenbewerbers
verneinen zu können, verkennt die Senatsmehrheit den Maßstab der
Eignungsbeurteilung. |
103 |
Auch die Senatsmehrheit räumt ein,
dass religiös motivierte Bekleidung von Lehrern Schulkinder
beeinflussen, Konflikte mit Eltern hervorrufen und so die Störung des
Schulfriedens bewirken kann. Insbesondere im Konfliktfall müsse dabei
auch mit belastenden Auswirkungen auf jüngere Schülerinnen und Schüler
gerechnet werden. Diese potenzielle Gefährdungslage könne einem
Lehramtsanwärter aber nicht im Stadium der "abstrakten Gefahr"
entgegengehalten werden, sondern erst, wenn greifbare Anhaltspunkte für
die Gefährdung des Schulfriedens manifest geworden sind. Ohne handfest
gewordene Konflikte kann danach ein Eignungsmangel von der
Einstellungsbehörde nicht mehr konstatiert werden. |
104 |
Damit wird der Beurteilungsmaßstab der
Eignungsbeurteilung im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG verkannt. Denn weil
die Entfernung eines Beamten auf Lebenszeit aus dem Dienst wegen
Verletzung seiner Dienstpflichten nach den hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums nur eingeschränkt und im Wege des förmlichen
Disziplinarverfahrens möglich ist, muss der Dienstherr bereits im
Vorfeld Sorge dafür tragen, dass niemand Beamter wird, der nicht die
Gewähr dafür bietet, die aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Dienstpflichten
einzuhalten. Das verfassungsrechtlich legitime Mittel dazu ist die
Prüfung und Entscheidung, ob der Bewerber für das angestrebte Amt die
erforderliche Eignung besitzt. Nicht ausräumbare Zweifel hieran
berechtigen die Einstellungsbehörde zu einer negativen Prognose, da
insoweit die Eignung nicht positiv festgestellt werden kann (vgl.
BVerfGE 39, 334 <352 f.>).
Vorbeugende Maßnahmen zum Schutze von Kindern und des elterlichen
Erziehungsrechts bedürfen im Übrigen grundsätzlich nicht des
wissenschaftlich-empirischen Nachweises einer Gefahrenlage (vgl.
BVerfGE 83, 130 <140>). |
105 |
Die Bezugnahme auf die dem
Polizeirecht entlehnte Figur der "abstrakten Gefahr" vermag daher die
Konfliktlage der Eignungsbeurteilung nicht angemessen zu lösen. Dem
freiheitlichen Verfassungsstaat ist vielmehr untersagt, Beamten die
erforderliche Eignung erst dann abzusprechen, wenn durch ihr absehbares
dienstliches Verhalten Schäden an bestimmten Rechtsgütern wahrscheinlich
werden, wie dies der Gefahrbegriff impliziert. Mit der Abstufung von
konkreter und abstrakter Gefahr vermag daher die klassische
Eingriffsschwelle im Verhältnis von Bürger und Staat beschrieben werden,
nicht aber der Maßstab für das der staatlichen Verwaltung obliegende
Einstellungsermessen. Es kann dem beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalt
nicht entsprechen, wenn der Verfassungsstaat sich gegen seine eigenen
Beamten, die ihn verkörpern und durch die er handelt, auf die
polizeirechtliche Gefahrenschwelle berufen müsste, um deren Verhalten im
Dienst zu reglementieren. Dies gilt umso mehr, als die
Beschwerdeführerin in einer staatlichen Pflichtschule Grund- und
Hauptschüler - also in einem für Schüler und Eltern grundrechtssensiblen
Bereich - unterrichten will. Es kommt insofern nicht auf
polizeirechtliche Gefahrenlagen oder -modalitäten an, sondern lediglich
darauf, ob die Schulbehörde in Konkretisierung nicht nur
landesrechtlicher Bestimmungen, sondern auch der verfassungskräftigen
Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG einen
drohenden Pflichtverstoß in nachvollziehbarer Weise angenommen hat. Dies
ist ersichtlich der Fall. |
106 |
2. Die Schulverwaltung hat ausweislich
des Protokolls der Eignungsgespräche und nach den Bekundungen in der
mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht durchaus
Verständnis für die Glaubensüberzeugung der Beschwerdeführerin gezeigt;
die Beschwerdeführerin hat umgekehrt aber ersichtlich dem
Neutralitätsanliegen des Dienstherren kein Verständnis entgegengebracht.
Sie hat sich - abgesehen von Extremfällen wie unmittelbar drohender
Gewalt - außer Stande gesehen, auf ein Symbol von starker religiöser und
weltanschaulicher Aussagekraft im Dienst zu verzichten. Abgesehen davon,
dass diese Rigidität Zweifel an der vorrangigen Loyalität der
Beschwerdeführerin zu den politischen Zielen des Dienstherren und der
Werteordnung des Grundgesetzes auch in einem möglichen Konflikt mit
religiösen Überzeugungen des Islam hervorruft, sind damit bereits bei
der Eignungsbeurteilung Umstände bekannt geworden, die eine allseitige
Verwendung der Bewerberin im Schuldienst erheblich erschweren würden und
die Landesstaatsgewalt in heute bereits voraussehbare Konflikte mit
Schülern und deren Eltern, aber womöglich auch mit anderen Lehrern
brächten. |
107 |
Das von der Beschwerdeführerin
getragene Kopftuch ist dabei nicht abstrakt oder aus der Sicht der
Beschwerdeführerin zu beurteilen, sondern im konkreten Schulverhältnis.
Zu den Anforderungen des Amtes einer Grund- und Hauptschullehrerin zählt
die Pflicht, objektiv ausdrucksstarke politische, weltanschauliche oder
religiöse Symbole für ihre Person zu vermeiden. Im Schuldienst hat der
Lehrer die Verwendung solcher signifikanter Symbole zu unterlassen, die
geeignet sind, Zweifel an seiner Neutralität und professionellen Distanz
in politisch, religiös oder kulturell umstrittenen Themen zu wecken.
Dabei kann es nicht darauf ankommen, welchen subjektiven Sinn der
beamtete Lehrer mit dem von ihm verwendeten Symbol verbindet.
Entscheidend ist vielmehr die objektive Wirkung des Symbols. |
108 |
Eine solche Wirkung in konkret
wechselnden Lagen jeweils einzuschätzen, ist grundsätzlich Sache des
Dienstherren und kann von Gerichten nur in eingeschränktem Umfang auf
Plausibilität und Schlüssigkeit überprüft werden. Für die Einschätzung
ist die fachlich kompetente Verwaltung am besten geeignet, die
Konkretisierung der Dienstpflichten ist traditionell eine Domäne des
Dienstherren. Dabei hat er auf wechselnde Lagen zu reagieren. Die
Verwendung von Symbolen verändert sich ebenso im Laufe der Zeit wie die
Heftigkeit der durch sie hervorgerufenen Resonanz: mal stehen politische
Plaketten (z.B. "Stoppt Strauß", "Atomkraft - nein danke"), mal religiös
hergeleitete Zeichen wie die orangefarbene Kleidung der
Bhagwan(Osho)-Anhänger im Vordergrund (BVerwG, NVwZ 1988, S. 937). Der
Dienstherr - letztlich der zuständige Landesminister in seiner
parlamentarischen und politischen Verantwortung - mit seiner besonderen
Sachkunde für die Funktionsanforderungen im Schulverhältnis muss jeweils
abschätzen, welche Verwendung von Symbolen durch den Beamten mit den
allgemeinen beamtenrechtlichen und den besonderen Anforderungen im
Schuldienst noch vereinbar oder zu unterbinden ist. |
109 |
3. Eine Unterscheidung zwischen
abstrakter und konkreter Gefahr - wie sie von der Senatsmehrheit für
bedeutsam gehalten wird - ist dabei ohne Belang und deshalb bisher auch
weder für die Ermittlung von Dienstpflichten noch im Rahmen von
Eignungsentscheidungen herangezogen worden. Es kommt für eine
fachgerichtliche Beanstandung der Eignungsentscheidung nur darauf an, ob
die Einschätzung, dass bestimmte Symbole mit dem beamtenrechtlichen
Neutralitätsgebot unvereinbar sind, von einer ersichtlich fehlerhaften
Tatsachengrundlage oder von nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen
getragen wurde. |
110 |
Die die angegriffenen Entscheidungen
tragende Annahme, dass bei einer Einstellung der Beschwerdeführerin in
einer allgemeinen Grund- oder Hauptschule in Baden-Württemberg
Beeinträchtigungen des Schulfriedens zu besorgen sind, ist
nachvollziehbar. Auch die Senatsmehrheit geht davon aus, dass eine
Lehrerin, die das Kopftuch als islamisches Symbol dauerhaft im
Unterricht trägt, jedenfalls eine "abstrakte Gefahr" hervorruft. In der
Tat ist ein von der Lehrerin getragenes – gegenwärtig – ausdrucksstarkes
Symbol mit objektiven religiösen, politischen und kulturellen
Sinngehalten geeignet, in die negative Religionsfreiheit von Schülern
und Eltern und in das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG)
einzugreifen. Gerade das Tragen eines Kleidungsstücks, das eindeutig auf
eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung eines Lehrers
an öffentlichen Schulen hinweist, kann auf Unverständnis oder Ablehnung
bei andersdenkenden Schülern oder deren Erziehungsberechtigten stoßen
und diesen Personenkreis in seinem Grundrecht negativer
Bekenntnisfreiheit treffen, weil sich die Schüler einer solchen
Demonstration religiöser Überzeugung nicht entziehen können. |
111 |
Unterricht und Erziehung an
öffentlichen Schulen sind staatliche Leistungen, deren Inanspruchnahme
den Kindern zur gesetzlichen Pflicht gemacht ist. Für Kinder und ihre
Eltern ist deshalb die Teilnahme am Schulunterricht grundsätzlich
unausweichlich. Zudem hängen vom Leistungsniveau und von der Fähigkeit
schulischer Einrichtungen sowie ihrer Praxis zu sachgerechter Förderung
und Erziehung die Lebenschancen der Kinder maßgeblich ab. Weder den
Eltern noch dem Staat ist es deshalb zuzumuten, angesichts einer schon
im Einstellungsgespräch erkennbaren künftigen Konfliktlage abzuwarten,
ob und wie sich Konflikte im Einzelfall entwickeln. Überdies liegt nahe,
dass einige Eltern von einem Protest absehen werden, weil sie deswegen
Nachteile für ihr Kind befürchten. Die Möglichkeit einer
Beeinträchtigung des Schulfriedens ist im Fall der Beschwerdeführerin im
Übrigen auch schon konkret geworden, wie Erfahrungen im
Vorbereitungsdienst und die ablehnende Reaktion von anderen Lehrerinnen
zeigen. |
112 |
4. Die Annahme der Senatsmehrheit, das
Schulkreuz an der Eingangstür einer Klasse und das Kopftuch der Lehrerin
im Schulunterricht seien - zu Gunsten der Beschwerdeführerin - nicht zu
vergleichen, verkennt die Grundrechtslage der betroffenen Schüler und
Eltern. Maßgeblich ist hierfür, welchem Einfluss der einzelne Schüler in
einer staatlichen Pflichtschule und unter staatlicher Verantwortung
unterworfen wird. Hängt in einem christlich geprägten Umfeld ein Kreuz
über der Schultür - kein großes Kruzifix im Rücken des Lehrers (vgl.
BVerfGE 93, 1 <18>) -
kann dies kaum mehr als Eingriff in die negative Religionsfreiheit oder
in das Erziehungsrecht der Eltern betrachtet werden. Zu wenig verbinden
Kinder mit einem bloßen und alltäglichen Gegenstand an der Wand, der
keine unmittelbare Beziehung zu einem konkreten Menschen oder
Lebenssachverhalt aufweist. Zu sehr ist das Kreuz - über seine religiöse
Bedeutung hinaus - ein allgemeines Kulturzeichen für eine aus jüdischen
und christlichen Quellen gespeiste wertgebundene, aber offene und durch
reiche, auch leidvolle historische Erfahrung tolerant gewordene Kultur. |
113 |
Lehrerinnen und Lehrer prägen
demgegenüber als Person und als Persönlichkeit - gerade in der
Grundschule und in der Funktion des Klassenleiters - die Kinder
maßgeblich. Trägt eine Lehrerin auffällige Kleidung, ruft dies Eindrücke
hervor, gibt zu Fragen Anlass und spornt zur Nachahmung an. Der
Sachverständige Professor Bliesener hat in der mündlichen Verhandlung
dazu ausgeführt, dass das Lehrerverhalten die Kinder zur Nachahmung
anregt: dies geschähe auf Grund der oft engen emotionalen Bindung der
Grundschülerinnen und Grundschüler, die von der Lehrkraft aus
pädagogischen Gründen auch angestrebt werden soll, sowie der eindeutigen
Ausrichtung der kindlichen Aufmerksamkeit auf die Lehrkraft und der
ebenfalls wahrgenommenen Autorität der Lehrkraft im Kontext der Schule. |
114 |
Die Erklärung der Beschwerdeführerin,
sie würde durch das Kopftuch ausgelöste Fragen wahrheitswidrig
beantworten und wider ihrer Glaubensüberzeugung behaupten, es handele
sich nur um ein Modeaccessoire, ist nicht geeignet, einen
Grundrechtskonflikt zu vermeiden. Denn auch Kinder wissen um die
religiöse Bedeutung eines ständig, also auch in geschlossenen Räumen
getragenen Kopftuchs. Überdies interagieren Schulkinder nicht nur mit
der Lehrerin, sondern auch mit ihren Eltern und einem weiteren sozialen
Umfeld. Eltern, die im Rahmen ihrer Erziehungsvorstellung Fragen ihrer
Kinder wahrheitsgemäß beantworten, werden nicht umhin können zu
erläutern, die Lehrerin trage das Kopftuch, weil sie anders ihre Würde
als Frau in der Öffentlichkeit nicht wahren könne. Damit ist aber bei
Schülern mit nichtislamischen, möglicherweise auch bei islamischen
Eltern, die nicht von einem Verhüllungsgebot der Frau in der
Öffentlichkeit ausgehen, ein Konflikt mit ihren Wertvorstellungen
angelegt. Die objektive Reizwirkung eines auch politisch-kulturellen
Symbols kann sich über Reaktionen im sozialen Umfeld leicht auf das Kind
übertragen und es zu der Frage führen, ob es sich in einem Wertedisput,
den es nicht beurteilen kann, auf die Seite der Lehrerin oder auf die
Seite eines das Kopftuch dezidiert ablehnenden sozialen Umfeldes
schlägt, zu dem auch die Eltern rechnen können. Der Sachverständige
Bliesener hat in der mündlichen Verhandlung insoweit auf die mögliche
emotionale Überforderung der Kinder im Grundschulalter hingewiesen, die
eintreten könne, wenn sich zwischen der Lehrkraft auf der einen Seite
und der Elternschaft oder einzelnen Eltern auf der anderen Seite ein
dauerhafter Konflikt entwickelt. |
115 |
5. Damit eine Dienstpflicht, gerichtet
auf Mäßigung in der Bekleidung des Beamten, vom Dienstherren in
rechtmäßiger Weise konkretisiert werden kann, bedarf es keines
empirischen Nachweises von "Gefahrenlagen", erst recht ist nicht
gefordert, dass der Landesgesetzgeber durch wissenschaftliche Erhebungen
die "Gefährdung" ermittelt. Ein Gesetzesvorbehalt mit Nachweispflichten
des Gesetzgebers für die bloße Konkretisierung und Anordnung
dienstlicher Pflichten ist nicht nur systemfremd, sondern führt den
freiheitlichen Verfassungsstaat auch weiter in eine seine Wirksamkeit
blockierende Unbeweglichkeit. Es reicht für die Eignungsbeurteilung
völlig aus, dass durch die Verwendung signifikanter Bekleidungssymbole
ein Konflikt in nachvollziehbarer Weise als möglich oder sogar
naheliegend erscheint. |
116 |
Dies ist der Fall, weil das Kopftuch
offenkundig - das zeigen bereits die öffentlichen Reaktionen auf die von
der Beschwerdeführerin angestrengten gerichtlichen Verfahren -
jedenfalls auch als Symbol des politischen Islamismus mit starkem
Symbolgehalt aufgeladen ist und entsprechende Abwehrreaktionen zu
erwarten sind. Zu diesem objektiven Aussagegehalt gehört auch die
Betonung eines sittlichen Unterschieds zwischen Frauen und Männern, die
geeignet ist, Konflikte mit denjenigen hervorzurufen, die ihrerseits die
Gleichberechtigung, Gleichwertigkeit und gesellschaftliche
Gleichstellung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 GG) als hohen
ethischen Wert vertreten. |
117 |
Die Einschätzung, dass das beständige
Tragen eines Kopftuchs im Schulunterricht mit der Pflicht zur
weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Beamten unvereinbar
ist, wurde durch alle drei verwaltungsgerichtliche Urteile überzeugend
als fehlerfrei gekennzeichnet. Das Kopftuch als religiöses und
weltanschauliches Zeichen für die Notwendigkeit der Verhüllung der Frau
in der Öffentlichkeit ist jedenfalls zurzeit objektiv geeignet,
Widerspruch und Polarisierung hervorzurufen. |
118 |
6. Die Beschwerdeführerin hat
bekundet, sie fühle sich in ihrer Würde verletzt, wenn sie sich mit
unbedecktem Haupthaar in der Öffentlichkeit zeige. Auch wenn die
Beschwerdeführerin sich nicht ausdrücklich entsprechend eingelassen hat,
so liegt doch im Umkehrschluss nahe, dass eine Frau, die sich nicht
verhüllt, sich ihrer Würde begibt. Eine solche Unterscheidung ist
objektiv geeignet, Wertkonflikte in der Schule hervorzurufen. Dies gilt
schon im Verhältnis der Lehrer untereinander, aber erst recht im
Verhältnis zu Eltern, deren Kinder gerade in der Grundschule
erfahrungsgemäß eine besondere Beziehung zu ihrer Lehrerin aufbauen. |
119 |
Ob es politisch oder pädagogisch
richtig oder falsch ist, die Kinder möglichst früh mit anderen
Wertmaßstäben oder einem gelebten anderen Verständnis von der Würde der
Frau als derjenigen des Elternhauses zu konfrontieren, ist rechtlich
unmaßgeblich. Es kommt nur darauf an, ob die Einschätzung der
Einstellungsbehörde nachvollziehbar ist, dass Konflikte innerhalb der
Schule zu besorgen sind, die durch eine entsprechende Mäßigung des
Lehrers ohne weiteres zu vermeiden wären. Davon ist die zuständige
Schulverwaltung fehlerfrei ausgegangen. |
120 |
Das Kopftuch, getragen als
kompromisslose Erfüllung eines von der Beschwerdeführerin angenommenen
islamischen Verhüllungsgebotes der Frau, steht gegenwärtig für viele
Menschen innerhalb und außerhalb der islamischen Religionsgemeinschaft
für eine religiös begründete kulturpolitische Aussage, insbesondere das
Verhältnis der Geschlechter zueinander betreffend (vgl. z.B. Nilüfer
Göle, Republik und Schleier, 1995, S. 104 ff.; Erdmute Heller/Hassouna
Mosbahi, Hinter den Schleiern des Islam, 1993, S. 108 ff.; Rita Breuer,
Familienleben im Islam, 2. Aufl. 1998, S. 81 ff.; Tariq Ali,
Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung, 2002, S. 97 ff.). Die
Senatsmehrheit hat diesem Umstand keine ausreichende Bedeutung
zugemessen. Sie hat sich deshalb auch nicht damit auseinander gesetzt,
ob innerhalb der Anhänger islamischen Glaubens in Deutschland eine
womöglich nicht unmaßgebliche oder gar wachsende Zahl von Menschen das
Kopftuch und die Verschleierung als kulturelle Herausforderung einer von
ihnen in ihrem Wertesystem abgelehnten Gesellschaft verstehen und vor
allem, ob und mit welchen abwehrenden Reaktionen unter der Mehrheit der
andersgläubigen Bürger zu rechnen ist. Immerhin wurzelt auch nach
Meinung wichtiger Kommentatoren des Korans das Gebot der Verhüllung der
Frau - unabhängig von der Frage, ob es überhaupt ein striktes Gebot in
diese Richtung gibt - in der Notwendigkeit, die Frau in ihrer dem Mann
dienenden Rolle zu halten. Diese Unterscheidung zwischen Mann und Frau
steht dem Wertebild des Art. 3 Abs. 2 GG fern. |
121 |
Es kommt insofern nicht darauf an, ob
eine solche Meinung innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft
allein gültig oder auch nur vorherrschend ist oder ob die im Verfahren
vorgetragene Auffassung der Beschwerdeführerin, das Kopftuch sei eher
ein Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein und die Emanzipation
islamisch gläubiger Frauen, zahlenmäßig stark vertreten wird. Es ist
ausreichend, dass die Auffassung, eine Verhüllung der Frauen
gewährleiste ihre Unterordnung unter den Mann, offenbar von einer nicht
unbedeutenden Zahl der Anhänger islamischen Glaubens vertreten wird und
deshalb geeignet ist, Konflikte mit der auch im Grundgesetz deutlich
akzentuierten Gleichberechtigung von Mann und Frau hervorzurufen. |
122 |
7. Die Beschwerdeführerin bewegt sich
mit dem von ihr geltend gemachten Anspruch, Schuldienst mit dem Kopftuch
ableisten zu dürfen, in einem kulturell und rechtlich schwierigen und
spannungsgeladenen Grenzraum. Schon ein weiterer Schritt hin zur
gänzlichen Verhüllung des Gesichts, der ebenfalls in der islamischen
Glaubensgemeinschaft praktiziert wird, könnte aus deutschem
Verfassungsverständnis heraus als unvereinbar mit der Würde des Menschen
angesehen werden: Der freie Mensch zeigt dem anderen sein Antlitz. |
123 |
Dabei achtet das Grundgesetz - in der
Sphäre der Gesellschaft - auch solche religiösen und weltanschaulichen
Auffassungen, die ein mit der grundgesetzlichen Wertordnung schwer zu
vereinbarendes Verhältnis der Geschlechterbeziehungen dokumentieren,
solange sie nicht die Grenzen der staatlichen Friedens- und
Rechtsordnung überschreiten. Das Wertesystem des Grundgesetzes
einschließlich seines Verständnisses der Gleichheit von Mann und Frau
schließt sich nicht vor allen Veränderungen ab, es stellt sich
Herausforderungen, reagiert und bewahrt die Identität im Wandel. |
124 |
Diese Offenheit und Toleranz geht aber
nicht soweit, solchen Symbolen Eingang in den Staatsdienst zu eröffnen,
die herrschende Wertmaßstäbe herausfordern und deshalb geeignet sind,
Konflikte zu verursachen. Die grundsätzliche Offenheit und Toleranz in
der Gesellschaft darf nicht auf das staatliche Binnenverhältnis
übertragen werden. Es ist vielmehr von Verfassungs wegen geboten, die
innere Organisation der staatlichen Verwaltung von der ersichtlichen
Möglichkeit solch schwerwiegender Konflikte frei zu halten, damit - im
konkreten Fall - Schulunterricht und schulische Erziehung störungsfrei
erfolgen können und allgemein, weil der Staat handlungsfähig bleiben und
mit einem Minimum an Einheitlichkeit auftreten können muss. |
125 |
Die Senatsmehrheit dehnt den
Gesetzesvorbehalt auf einen Sachbereich aus, der einer gesetzlichen
Normierung wegen der Einzelfallabhängigkeit und der bestehenden
verfassungsrechtlichen Bindungen praktisch nicht zugänglich ist (vgl.
BVerfGE 105, 279 <304>). |
126 |
1. Die Volksvertretung des Landes
Baden-Württemberg hat ausdrücklich und mit guten Gründen eine
formellgesetzliche Regelung aus Anlass der hier vorliegenden
Eignungsbeurteilung abgelehnt. Der Landtag hat sich in der für den
Rechtsstreit maßgeblichen Zeit zweimal mit dem Problem von Lehrerinnen
befasst, die im Unterricht ein Kopftuch tragen wollen (PlenarProt. 12/23
vom 20. März 1997, S. 1629 ff.; PlenarProt. 12/51 vom 15. Juli 1998,
S. 3977 ff.). Der konkrete Fall der Beschwerdeführerin wurde in der
Plenardebatte vom 15. Juli 1998 (PlenarProt. 12/51 vom 15. Juli 1998)
ausführlich debattiert und es wurde über einen Antrag der Fraktion der
Republikaner, der auf eine gesetzliche Regelung zielte (LTDrucks 12/2931
vom 9. Juni 1998), Beschluss gefasst. Die Volksvertretung hat mit großer
Mehrheit - nur gegen die Stimmen der Fraktion der Republikaner -
beschlossen, die Frage der Eignungsbeurteilung im Hinblick auf das
Tragen religiöser Symbole im Schulunterricht nicht gesetzlich zu regeln.
Die Entscheidung wurde damit begründet, eine weitere und detailliertere
gesetzliche Regelung sei nicht nötig, eine gesetzliche Regelung
erschwere die einzelfallangemessene Eignungsbeurteilung und damit auch
eine freiheitsgerechte Ausübung des Beurteilungsspielraums bei der
Vergabe öffentlicher Ämter. |
127 |
Mit der aus der Bundesverfassung
hergeleiteten Forderung nach einem förmlichen Gesetz wird insofern unter
Wesentlichkeitsgesichtspunkten kein Gewinn für die demokratische
Verankerung einer Verwaltungsentscheidung erzielt. In komplexen Fragen
der Einzelbeurteilung von Bewerbern für ein öffentliches Amt kann die
grundsätzlich freiheitsfördernde Wirkung des förmlichen Gesetzes
vielmehr in eine freiheitsverkürzende Wirkung umschlagen, da
einzelfallorientierte Maßnahmen so erschwert werden. Mit einer für die
Statuierung von Dienstpflichten und für die beamtenrechtliche
Eignungsbeurteilung ohnehin systemfremden allgemeinen gesetzlichen
Regelung wird nicht mehr, sondern weniger an Einzelfallgerechtigkeit
hergestellt. Nach der auf weltanschauliche und religiöse Neutralität
ausgerichteten schulpolitischen Konzeption der Landesregierung und des
Landtages wäre es durchaus möglich, im Einzelfall eine Lehrerin mit
Kopftuch in den Schuldienst einzustellen, wenn die Bereitschaft
erkennbar würde, nicht nur in Extremsituationen – wie von der
Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – auf das
Kopftuch zu verzichten, sondern auch in alltäglichen
Unterrichtssituationen einer Grundschule. |
128 |
Schulbehörde, Ministerin und Landtag
nahmen aber gerade Anstoß daran, dass die Beschwerdeführerin sich
kategorisch weigerte, einer flexiblen Handhabung ihres
Bekleidungswunsches näher zu treten. Daraus durfte die für die
Eignungsbeurteilung zuständige Behörde den Schluss ziehen, dass im Falle
von Konflikten mit der negativen Religionsfreiheit von Eltern und
Kindern einzellfallgerechte Lösungen an christlichen
Gemeinschaftsschulen (vgl. Art. 15 Abs. 1, 16 der Verfassung des Landes
Baden-Württemberg) außerordentlich erschwert würden. Sie durfte auch den
Schluss ziehen, dass die Beharrlichkeit der Weigerung Zweifel an der
Neutralität und Mäßigung der Bewerberin wecken konnten, ohne dass dies
als sachlich nicht mehr zu rechtfertigen und willkürlich erschiene. |
129 |
2. Die Senatsmehrheit gibt dem
Landesgesetzgeber auf, verfassungsimmanente Schranken der
Bundesverfassung zu konkretisieren, obwohl diese hinreichend konkret aus
dem Grundgesetz zu ermitteln sind. Es ist deshalb bereits zweifelhaft,
ob der Landesgesetzgeber überhaupt - über eine deklaratorische
Bekräftigung oder Verdeutlichung hinausreichend - befugt ist, diese
immanenten Schranken zu konkretisieren. |
130 |
Letztverbindlich hat das
Bundesverfassungsgericht über Umfang und Reichweite immanenter
Grundrechtsschranken zu entscheiden. Es ist nicht die Aufgabe eines
Landesgesetzgebers, die sich unmittelbar aus Verfassungsrecht ergebenden
Beschränkungen deklaratorisch nachzuzeichnen. Dem Landesparlament wird
auch nicht der angemessene Respekt erwiesen, wenn es zu einer
Gesetzesformulierung gezwungen wird, die es einerseits ausdrücklich und
wohlerwogen nicht wollte und die andererseits - nach Auffassung der
Senatsmehrheit - verfassungsunmittelbare Schranken konkretisiert, die in
späteren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erneut auf den
Prüfstand gestellt werden. Ein zuständiges Gericht, das in einer so
umstrittenen verfassungsrechtlichen Grundsatzfrage auf den Gesetzgeber
verweist, muss diesem wenigstens sagen, wie er die ihm angesonnene
Aufgabe der Konkretisierung verfassungsunmittelbarer Schranken
bewältigen soll. |
131 |
Im konkreten Fall bleiben aber alle
Fragen offen, wie denn der Gesetzgeber seinen im Landtag schon deutlich
bekundeten politischen Willen in Gesetzesform gießen soll. Reicht es,
wenn er es dem Lehrer zur Dienstpflicht macht, religiöse und
weltanschauliche Bekleidungssymbole zu vermeiden, die geeignet sind,
Beeinträchtigungen des Schulfriedens hervorzurufen? Wäre es zulässig,
die Verwendung solcher religiöser, weltanschaulicher oder politischer
Symbole im Schuldienst zu untersagen, die geeignet sind, die
Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie deren tatsächliche
Durchsetzung (Art. 3 Abs. 2 GG) zu gefährden? Darf das Lehrerdienstrecht
so präzisiert werden, wie es die damalige Landtagsfraktion der
Republikaner mit ihrem Antrag vom 9. Juni 1998 (LTDrucks 12/2931)
verlangt hat, "dass das Tragen des Kopftuchs als Symbol des Islam im
Unterricht eine unzulässige, einseitige, weltanschauliche und politische
Stellungnahme darstellt"? Muss der Landesgesetzgeber - weil dies nach
Meinung der Senatsmehrheit vom Grundgesetz geboten sein soll - im
Hinblick auf mögliche Störungen empirische Untersuchungen anstellen und
wenn ja, in welchem Umfang? Oder muss er von Verfassungs wegen und aus
Gleichheitsgesichtspunkten ausnahmslos alle religiösen Symbole in der
Bekleidung der Lehrer verbieten, auch wenn sie, wie etwa ein kleines
Schmuckkreuz, gar keine signifikante Aussage beinhalten und deshalb von
vornherein ungeeignet sind, Wertkonflikte in der Schule auszulösen? Wäre
ein solches Verbot von Bekleidungssymbolen ohne jede objektiv provokante
Aussagekraft überhaupt zu rechtfertigen? |
132 |
3. Der Aufgabe, eine
verfassungsrechtliche Grundsatzfrage zu beantworten, ist der Senat nicht
gerecht geworden, obwohl der Fall entscheidungsreif ist. Im Ergebnis
muss der Landesgesetzgeber nunmehr ein - nach Ansicht der abweichenden
Meinung gar nicht erforderliches - Gesetz erlassen, und dies, ohne eine
Übergangsfrist für diese überraschende Notwendigkeit eingeräumt zu
bekommen. Es wäre zudem mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum zu
vereinbaren, eine gesetzliche Grundlage für ein allgemeines Verbot
signifikanter religiöser oder weltanschaulicher Symbole im Dienst - wie
von der Senatsmehrheit vorgeschlagen - nur in das Schulgesetz und nicht
allgemein in das Landesbeamtengesetz aufzunehmen; entsprechende
Konfliktlagen können auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes
auftreten, etwa im Rahmen der Jugendhilfe, der Sozialarbeit, der
öffentlichen Sicherheit oder der Rechtspflege. |
133 |
4. Dem Gesetzgeber hätte von der
Senatsmehrheit wenigstens eine Übergangsfrist eingeräumt werden müssen.
Dies wäre unter Berücksichtigung früherer Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzesvorbehalt geboten gewesen und
hätte die Auswirkungen einer Überraschungsentscheidung gemindert. |
134 |
a) Das Bundesverfassungsgericht hat
aus dem Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG das Verbot von
Überraschungsentscheidungen abgeleitet. Die Verfahrensbeteiligten dürfen
weder vom Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung an sich (BVerfGE
34, 1 <7 f.>) noch von deren tatsächlichem (BVerfGE
84, 188 <190 f.>) oder rechtlichem (BVerfGE
86, 133 <144 f.>) Inhalt überrascht werden.
Einer gerichtlichen Entscheidung dürfen nur solche Tatsachen und
Beweisergebnisse zu Grunde gelegt werden, zu denen sich die Parteien
äußern konnten. Eine bloße Information der Verfahrensbeteiligten allein
genügt nicht; es muss für diese auch eine konkrete Möglichkeit der
Äußerung zum Sachverhalt bestehen (BVerfGE 59,
330 <333>). Der sachverhalts- und
tatsachenbezogenen Äußerung als Voraussetzung der Gehörsgewährung im
Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG ist die Möglichkeit zur Äußerung zur
Rechtslage gleichgestellt (BVerfGE 60, 175
<210>;
64, 125 <134>;
86, 133 <144>;
98, 218 <263>). Dem
Beteiligten muss die Möglichkeit gegeben werden, sich im Prozess mit
tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Dabei kann es in
besonderen Fällen auch geboten sein, den Verfahrensbeteiligten auf eine
Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zu Grunde
legen will. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung
rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei
Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf
welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Es kann im
Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen,
wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen
Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt
vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Das gilt
insbesondere, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts bislang weder in
der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten wurde, wenngleich
grundsätzlich kein Anspruch auf ein Rechtsgespräch oder einen Hinweis
auf die Rechtsauffassung besteht (BVerfGE 86,
133 <144 f.>;
96, 189 <204>;
98, 218 <263>). |
135 |
Die Senatsmehrheit berücksichtigt das
auch dem Staat als Verfahrensbeteiligtem zustehende Prozessrecht auf
rechtliches Gehör nicht hinreichend, wenn sie einen parlamentarischen
Gesetzesvorbehalt für die Begründung von Dienstpflichten im Zusammenhang
mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Beamten einführt, der
bislang weder in Rechtsprechung und Literatur noch von der
Beschwerdeführerin selbst gefordert und in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat nicht zum ernsthaften Gegenstand des Rechtsgesprächs
gemacht wurde. Das Land Baden-Württemberg hatte weder Anlass noch
Gelegenheit sich zu dieser für alle Verfahrensbeteiligten überraschenden
und entscheidungstragenden Rechtsauffassung zu äußern. Zu diesem
Gesichtspunkt hätte dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
werden müssen. Die Senatsmehrheit wirft dem Land ein Unterlassen vor. Es
habe für den Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 33
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keine hinreichend
bestimmte gesetzliche Grundlage geschaffen. Auf diesen Vorwurf konnte
das Land nicht eingehen, weil es ihn nicht kannte und auch nicht kennen
musste. |
136 |
b) Angesichts dieses prozessualen
Versäumnisses hätte die Senatsmehrheit dem Landesgesetzgeber zumindest
eine angemessene Frist setzen müssen, innerhalb der er dem geforderten
Gesetzesvorbehalt durch Schaffung einer - nach der Auffassung der
Senatsmehrheit - der Verfassungsrechtslage gerecht werdenden Norm
Rechnung tragen kann. In früheren Entscheidungen hat das
Bundesverfassungsgericht diese Problematik anerkannt und bei einer neu
aufgestellten Forderung nach einem Gesetzesvorbehalt für eine
Übergangszeit der Exekutive eine Entscheidung mit Grundrechtseingriff
ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigung ermöglicht. So wurde etwa im
Interesse von Strafvollzug und Schulbetrieb die Briefkontrolle bei
Strafgefangenen auf Grund unzureichender untergesetzlicher Ermächtigung
(vgl.
BVerfGE 33, 1 <12 f.>;
40, 276 <283>) ebenso
für übergangsweise zulässig erklärt, wie der nicht durch
Parlamentsgesetz gedeckte Schulverweis (vgl.
BVerfGE 58, 257 <280 f.>). |
137 |
5. Eine angemessene Übergangsfrist
wäre nicht nur aus Gründen des Respekts vor dem Gesetzgeber erforderlich
gewesen, sondern hätte den von der Senatsmehrheit angenommenen
Gesetzesvorbehalt ernst genommen und dem Landesgesetzgeber die
Möglichkeit gegeben, für den vorliegenden Fall eine wirksame gesetzliche
Grundlage zu schaffen. Auch das Bundesverwaltungsgericht wird mit der
Begründung der Senatsmehrheit in einer rechtsstaatlich bedenklichen
Weise im Unklaren gelassen, wie es mit dem zurückverwiesenen
Rechtsstreit weiter verfahren soll. Denn wenn - wie die Senatsmehrheit
annimmt - die von der Beschwerdeführerin angegriffene Entscheidung
verfassungswidrig ist, dann müsste das Bundesverwaltungsgericht der
Klage zurzeit stattgeben. Da nur über die Frage des religiösen Symbols
gestritten wurde, müsste demnach aber die Beschwerdeführerin vom Land
Baden-Württemberg zur Beamtin ernannt werden. Dadurch würden
beamtenrechtlich vollendete Tatsachen geschaffen, die der Gesetzgeber
kaum noch korrigieren könnte. Die auch durch einzelne
Begründungselemente der Senatsmehrheit nicht ausgeschlossene
Alternative, die verwaltungsgerichtlichen Verfahren auszusetzen, bis der
Landtag eine lehrerdienstrechtliche gesetzliche Grundlage geschaffen
hat, hätte klar ausgesprochen werden müssen. |
138 |
Jentsch |
Di Fabio |
Mellinghoff |
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