Politische Bildung |
siehe auch: Besuch von Abgeordneten, Kandidatinnen/ten sowie Mandatsträgerinnen und -trägern in Behörden und sonstigen Einrichtungen des Landes |
Erlass zur politischen Bildung in Schulen
Erlass des
Ministeriums für Schule und Berufsbildung vom 6. Juli 2016
(NBI.MSB Schl.-H. 2016 S. 171)
Artikel 1
Politische
Bildung -
Einbeziehung von politisch verantwortlichen
Personen in die Schule
I. Vorbemerkung
Politik und politisch kontroverse Diskussionen sind gewollter und gesetzmäßiger
Inhalt schulischen Unterrichts. Denn es gehört mit zu dem Auftrag von Schule,
junge Menschen auf ihre Stellung als Bürgerin und Bürger in einem freiheitlichen
demokratischen Staat vorzubereiten und sie zu befähigen, darin Verantwortung zu
übernehmen. Das lebendige und von der eigenständigen Meinung getragene
Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger zählt zu den Grundvoraussetzungen eines
demokratischen Staates. Um politische Bildung in diesem Sinne zu vermitteln,
soll der Unterricht auch dazu anregen, mit Vertreterinnen und Vertretern
politischer Parteien sowie Mandatsträgerinnen und -trägern ins Gespräch zu
kommen, ggf. ebenso im Rahmen eines Besuchs des Schleswig-Holsteinischen
Landtages oder des Bundestages.
Die Schule muss sich dabei in dem
Spannungsverhältnis zwischen ihrem Auftrag zu einer realitätsnahen und Interesse
weckenden Demokratieerziehung auf der einen und dem ihr auferlegten Gebot zu
strikter parteipolitischer Neutralität auf der anderen Seite bewegen. Denn als
öffentliche Einrichtungen, zu deren Besuch die Schülerinnen und Schüler aufgrund
der Schulpflicht oder eines bestehenden Schulverhältnisses verpflichtet sind,
hat sie diese Neutralität zu wahren und darf Sachverhalte nicht politisch
einseitig behandeln. Politische Werbung ist deshalb im Schulbetrieb generell
unzulässig; während der Unterrichtszeit ist die Tätigkeit politischer Parteien
dann untersagt, wie sie nicht der Auseinandersetzung mit der Meinungsvielfalt
oder dem Erwerb von Wissen über politische Strukturen dient, die ein
konstitutives Element eines demokratischen Gemeinwesens darstellt. Das
Schulgesetz steckt dafür in den Vorschriften der §§ 4 Abs. 12, 29 Abs. 2, 4 und
5 den rechtlichen Rahmen. Zu deren Anwendung werden die nachfolgenden Hinweise
gegeben, die maßgeblich in drei
Grundsätzen, welche auch dem sog.
Beutelsbacher Konsens zugrunde liegen, zusammengefasst werden können:
Überwältigungsverbot:
Lehrkräfte dürfen Schülerinnen und
Schüler durch das Vorbringen ihrer persönlichen oder einer bestimmten anderen
Meinung nicht daran hindern, sich selbst
ein Urteil zu bilden. Vielmehr ist
der Unterricht so zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler in die Lage
versetzt werden, eine eigene Meinung unter kritischer Abwägung unterschiedlicher
Standpunkte zu entwickeln.
Kontroversitätsgebot:
Was in
der Wissenschaft, Gesellschaft und in der Politik kontrovers ist, muss auch im
Unterricht als Grundlage für die eigene Meinungsbildung der Schülerinnen und
Schüler entsprechend kontrovers behandelt und diskutiert werden.
Schülerorientierung:
Die Schülerinnen und Schüler sollen befähigt
werden, eine politische Situation und die eigene Interessenlage zu analysieren.
Sie sollen im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung insbesondere
zum aktiven politischen und sozialen Handeln angeleitet und ermuntert werden,
eigenständig zu denken und vermeintliche Gewissheiten, bestehende
gesellschaftliche Strukturen und vorgefundene politische Lagen kritisch zu
überdenken.
II. Einbeziehung von politisch verantwortlichen
Personen
1. Politische Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger
Im Hinblick auf die umfassende Vermittlung politischer
Bildung soll die Schule offen sein für die Einbeziehung von politischen
Mandatsträgerinnen und - trägern. Dies sind Mitglieder einer Kommunalvertretung,
Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder des Europäischen
Parlamentes.
a. Information über die schulische Situation vor Ort
Jede Mandatsträgerin und jeder Mandatsträger soll sich vor Ort über die
schulische Situation informieren und hierzu auch Gespräche mit der Schulleiterin
oder dem Schulleiter oder dem Schulleitungsteam mit dem Personalrat führen
dürfen. Im Rahmen eines solchen Schulbesuchs werden die Mandatsträgerinnen und
-träger nicht als externe sachkundige Personen für die Vermittlung politscher
Bildung in den Unterricht oder eine andere schulische Veranstaltung einbezogen.
Die parteipolitische Neutralität der Schule gemäß § 4 Abs. 12 Schulgesetz ist
deshalb nicht berührt. Die Beteiligten haben gegenüber den politischen
Mandatsträgerinnen und -trägern jedoch das ihnen obliegende Mäßigungsgebot zu
beachten.
b. Einbeziehung in den Unterricht oder eine sonstige
schulische Pflichtveranstaltung
Als sachkundige Personen können
Mandatsträgerinnen und -träger auch in den Unterricht oder eine sonstige
schulische Pflichtveranstaltung einbezogen werden, weil Demokratie und kommunale
Selbstverwaltung sich auf
diese Weise für die Schülerinnen und Schüler
erlebbar und anschaulich machen lassen. Die Mandatsträgerinnen und -träger
können anhand ihrer konkreten Arbeit vor allem die Funktionsweise und -fähigkeit
der parlamentarischen Demokratie oder der kommunalen Selbstverwaltung erläutern
und darüber mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren.
Ein solcher
Unterrichtsbesuch ist für eine Mandatsträgerin oder einen Mandatsträger
grundsätzlich jederzeit und auch allein möglich. Sie treten in diesen Fällen den
Schülerinnen und Schülern als Mitglied eines kommunalen
Selbstverwaltungsorgans oder eines Parlaments gegenüber. Dabei dürfen
parteipolitische Standpunkte und Zielsetzungen dargelegt werden, wenn die
(Wahl-)Programme oder Positionen verschiedener Parteien im Unterricht behandelt
werden und die Schülerinnen und Schüler zu einzelnen Punkten eine vertiefende
Diskussion mit der Mandatsträgerin oder dem Mandatsträger wünschen. Die
verantwortliche Lehrkraft hat für eine Ausgewogenheit zu sorgen, indem z.B.
nachfolgend mindestens eine weitere Mandatsträgerin oder ein weiterer
Mandatsträger einer anderen Partei in den Unterricht eingeladen wird oder die zu
einem Thema getätigten Aussagen durch eine entsprechende Gestaltung des
Unterrichts ins Verhältnis zu den parteipolitischen Standpunkten anderer
Parteien gesetzt werden.
Die Schulleiterin oder der Schulleiter entscheidet -
in der Regel auf Vorschlag der jeweiligen Lehrkraft - über den Besuch der
Mandatsträgerin oder des Mandatsträgers im Unterricht oder in einer sonstigen
schulischen Veranstaltung.
c. Vereinbarkeit mit dem Bildungsauftrag
der Schule
Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Schulgesetz basiert der
Bildungsauftrag der Schule auf den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten,
den sie begründenden christlichen und humanistischen Wertvorstellungen und auf
den Ideen der demokratischen, sozialen und liberalen Freiheitsbewegungen. Die
Schulleiterin oder der Schuleiter hat dies bei ihrer oder seiner Entscheidung
über die Einbeziehung von Mandatsträgerinnen und -trägern sowie
Wahlkandidatinnen und Wahlkandidaten in schulische Veranstaltungen zu beachten.
Sie oder er wird dabei von der Schulaufsicht und dem Schulrechtsreferat
unterstützt.
2. Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien
und Wählergemeinschaften ohne Mandat
Im Interesse der politischen
Bildung können auch Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien oder
Wählergemeinschaften, die nicht Mandatsträgerinnen oder -träger im Sinne von
Ziffer 1. sind, in schulische Pflichtveranstaltungen einbezogen werden.
a. Information über die schulische Situation vor Ort
Ziffer
1.a. gilt mit der Maßgabe, dass das Besuchsbegehren einen konkreten örtlichen
oder inhaltlichen Bezug zu der Person der Politikerin oder des Politikers
aufweisen soll (z.B. Wahlkreis, Wohnort, Ausschussmitgliedschaft).
b.
Einbeziehung in den Unterricht oder eine sonstige schulische
Pflichtveranstaltung
Ziffer 1.b. gilt mit der Maßgabe, dass die
verantwortliche Lehrkraft in besonderer Weise für die notwendige Ausgewogenheit
zu sorgen hat. Dies kann
dadurch erfolgen, dass gleichzeitig oder in
zeitlicher Nähe danach auch Politikerinnen und Politiker mehrerer anderer
Parteien in den Unterricht eingeladen werden. Ferner sind die zu einem Thema
getätigten Aussagen (auch) durch eine entsprechende Gestaltung des Unterrichts
ins Verhältnis zu den parteipolitischen Standpunkten anderer Parteien zu setzen.
c. Die Ziffer 1.c. gilt entsprechend.
3. Sechs
Wochen vor einer Europa-, Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl (sog. „heiße
Wahlkampfphase“)
Gerade auch innerhalb der sog. „heißen
Wahlkampfphase“ in den letzten sechs Wochen vor einer Kommunal-, Landtags-,
Bundestags- oder Europawahl soll die Schule offen sein für eine Einbeziehung von
Mandatsträgerinnen und -trägern sowie Vertreterinnen und Vertretern politischer
Parteien.
a. Ausgewogenheit
Allerdings ist in diesem
Zeitraum in besonderer Weise die notwendige Ausgewogenheit zu gewährleisten. Für
die betreffende schulische Veranstaltung bieten sich daher z.B. eine
Podiumsdiskussion - also eine gleichzeitige
Anwesenheit der politisch
verantwortlichen Personen - mit den Schülerinnen und Schülern oder vergleichbare
Formate wie zum Beispiel das Worldcafé an. Die Diskussionsrunde ist dabei
möglichst plural zu besetzen. Es
soll jeweils eine Vertreterin oder ein
Vertreter der in der Vertretungskörperschaft repräsentierten Parteien sowie bei
Landtags- und Bundestagswahlen jeweils auch eine Vertreterin oder ein Vertreter
der Parteien, die sehr wahrscheinlich neu in das Parlament gewählt werden
(Wahlkandidaten/-innen), Gelegenheit zur Teilnahme an der Podiumsdiskussion
erhalten. Ferner soll die Veranstaltung im Unterricht mit den Schülerinnen und
Schülern vor- und nachbereitet werden. Schülerinnen und Schüler sollen ermuntert
und entsprechend darauf vorbereitet werden, die (Ko-)Leitung einer
Podiumsdiskussion zu übernehmen.
Eine schulische Veranstaltung unter
Einbeziehung von politisch verantwortlichen Personen in der sog. „heißen
Wahlkampfphase“ ist der Amtschefin oder dem Amtschef des Bildungsministeriums
rechtzeitig vorher anzuzeigen. Die Veranstaltung kann auch abweichend von der
Form einer Podiumsdiskussion durchgeführt werden, soweit die vorgenannten
Grundsätze
beachtet werden. Die Ziffer 1.c. ist zu berücksichtigen.
b. Presse und sonstige publizistische Begleitung
Bei
schulischen Veranstaltungen innerhalb der sog. „heißen Wahlkampfphase“ haben die
Mandatsträgerinnen und -träger sowie Vertreterinnen und Vertreter politischer
Parteien Veröffentlichungen gegenüber Presse und
Rundfunk oder eine sonstige
publizistische Begleitung zu unterlassen.Dessen ungeachtet kann die jeweilige
Schule im Nachgang zu der Veranstaltung selbst Pressearbeit in der auch sonst
bei besonderen schulischen
Veranstaltungen üblichen Art und Weise machen.
Eine publizistische Begleitung insbesondere durch die Anwesenheit von
Medienvertreter/-innen während der Veranstaltung ist ausgeschlossen.
III. Unzulässige politische Werbung
Politische Werbung ist
an Schulen generell unzulässig. Eine schulrechtlich unzulässige politische
Werbung liegt beispielsweise vor, wenn Werbematerialien oder Einladungen zu
parteipolitischen Veranstaltungen in der Schule gegenüber Schülerinnen und
Schülern bekannt gemacht oder an sie verteilt werden. Auch ist die Weiterleitung
von Werbematerialien politischer Parteien bzw. von Einladungen zu
parteipolitischen Veranstaltungen innerhalb des Lehrerkollegiums unzulässig.
Davon nicht berührt sind Schreiben, die Mandatsträgerinnen und -träger in dieser
Funktion an die Schule richten (z.B. Anregung zur politischen
Bildung durch
einen Besuch von Schülerinnen und Schülern im Land- oder Bundestag).
IV.
Politische Veranstaltungen in den Räumen der Schule außerhalb des Schulbetriebs
Der Schulträger kann Parteien und Wählergemeinschaften für deren Veranstaltungen
außerhalb des Schulbetriebs Räumlichkeiten der Schule zur Verfügung stellen.
Eine etwaige Teilnahme von Schülerinnen und Schülern erfolgt dabei ohne
schulischen Zusammenhang. Die Schule darf nicht für eine Teilnahme werben.
V. Teilnahme von Lehrkräften, Schulleiter/-innen und
Schulaufsichtsbeamten/-innen an parteipolitischen Veranstaltungen
Die Teilnahme von Lehrkräften, Schulleiterinnen und Schulleitern sowie
Schulaufsichtsbeamtinnen und -beamten in ihrer dienstlichen Funktion bedarf
aufgrund des Gebots parteipolitischer Zurückhaltung (Bestandteil des allgemeinen
Mäßigungsgebots) der vorherigen Absprache mit dem Bildungsministerium.
Artikel 2
Die Bekanntmachung des Bildungsministeriums „Parteipolitische
Betätigung an öffentlichen Schulen“ vom 9. Oktober 2000 (NBl. MBWFK. Schl.-H. S.
766) wird aufgehoben.
_______________________________
Britta Ernst
Ministerin für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein